Die „Berliner Zeitung“ macht sich seit Monaten für eine Aufarbeitung der Corona-Politik in Deutschland stark. In einem Gastbeitrag lieferte der Psychologieprofessor Dr. Peter M. Wiedemann jetzt eine Menge Argumente, die vor allem Anhängern des „Teams Vorsicht“ zu denken geben könnten.
Von Patrick Reitler auf epochtimes.de
Wiedemann kommt nach fast drei Jahren Pandemie-Rückschau zu dem Ergebnis, dass die tonangebenden Stimmen aus Medien und Politik weniger „der Wissenschaft“ gefolgt seien als vielmehr beabsichtigten, das Verhalten der Bevölkerung zu steuern: „Propaganda und Pathos dominierten die öffentlichen Medien. Mit missionarischem Eifer wurden Angstbotschaften massiv kommuniziert, um Menschen auf Linie zu bringen“.
Wiedemann erinnert daran, wie schon im Frühjahr 2020 ein internes „Strategiepapier“ des Bundesinnenministeriums geleakt worden war, in dem genau beschrieben wurde, wie man Menschen möglichst schnell und effektiv in Angst und Schrecken versetzen konnte. Der damals zuständige Innenminister, Horst Seehofer (CSU), hatte das BMI-Papier in Auftrag gegeben.
„Wer nicht mitmachte, war unsolidarisch und gehörte damit schon ins Reich des Bösen, das mit AfD, Querdenkern und Reichsbürgern auch eine politische Richtung zugewiesen bekam, deren Ablehnung als selbstverständliche Norm galt und gilt“, gibt der Diplom-Psychologe zu bedenken. „Flankiert vom Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft […] verschärfte sich die Tonlage in der Öffentlichkeit.“ Wiedemann erkennt darin einen „Rückfall in autoritäre Gesten, in eine paternalistische, mit dem Zeigefinger drohende Ansprache, die auf Angst und Ressentiments setzt“.
Wie aber kann eine Bundes- oder Landesregierung im Jahr 2020 zu solchen Mitteln greifen, die jahrzehntelang in der Bundesrepublik als absolutes No-Go gegolten hätten? Wiedemann: „Die moralisch höhere Sache gebot es, Grundrechte außer Kraft zu setzen, wenn sie mit moralisch höheren Zielen kollidieren. Denn für die Moral gibt es nur das Gute und das Böse, und keine Kompromisse“.
Um sich nicht irgendwann vorwerfen lassen zu müssen, man habe die Gefahrenabwehr unzureichend betrieben oder gar unterlassen, habe sich die Politik also sehr schnell entschieden, lieber „vorsorglichen Alarmismus“ zu betreiben als irgendein Risiko einzugehen – schon gar nicht für die eigene Karriere. Aus dieser Position heraus habe man sich stets am „Worst Case“ orientiert, also dem schlimmsten denkbaren Fall.
Falls es dann doch nicht so fatal kommen würde wie befürchtet, hätte man das mit der eigenen, „vorausschauenden Vorsorgepolitik“ erklären können. „Somit war es egal, wie sich die Lage entwickelt hätte, die defensive Entscheidungsfindung würde immer die gewünschten Ergebnisse erbracht haben“, erklärt Wiedemann.
Diese Art der Entscheidungsfindung habe dabei stets auf den Szenarien jener „Wissenschaftler“ basiert, die anhand von mathematischen Modellrechnungen oder aufgrund ihrer Expertise in Virologie die potenziellen Wirkungen des Coronavirus betrachteten, allen anderen Folgen einer strengen Corona-Politik aber wenig Beachtung schenkten. „Der Umstand, dass Pandemiemodelle Konjunktivkonstruktionen sind, geriet schnell aus den Augen“, schreibt Wiedemann. Erfahrungswissen zum Umgang mit Infektionskrankheiten habe „kaum Aufmerksamkeit“ gefunden. Die Politik habe sich genau da „an einigen Protagonisten einer Mikroskop-Wissenschaft“ orientiert, „wo eigentlich eine breit gefächerte Public-Health-Perspektive nötig gewesen wäre“, kritisiert Wiedemann.
Erinnert sei hier auch an den Fall des Oberregierungsrates Stefan Kohn (SPD): Der beim Bund im Referat K4 (Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz) für den Schutz kritischer Infrastrukturen zuständige Verwaltungswissenschaftler hatte bis Anfang Mai 2020 einen eigenen „Auswertungsbericht“ zur Corona-Lage erarbeitet, indem er „gravierende Fehlleistungen“ im Krisenmanagement beschrieb und vor einem „Fehlalarm“ warnte, dessen Folgeschäden schwerwiegender sein könnten als die des Virus. Kohn wurde kurz darauf von Bundesinnenminister Seehofer suspendiert.
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