Die Bundesinnenministerin will alle Chatnachrichten ohne Anlass durchsuchen. Das geht aus einem Positionspapier des Ministeriums hervor. Im Koalitionsvertrag steht das Gegenteil. Koalitionspartner und sogar die eigene Fraktion kritisieren den Vorschlag heftig.
Von Markus Reuter und Andre Meister auf
Laut dem Positionspapier will das Innenministerium am umstrittenen „Client-Side-Scanning“ festhalten. Der Einsatz dieser Technologie würde dazu führen, dass E-Mails, Messenger-Dienste und weitere Kommunikationsplattformen anlasslos und massenhaft überwacht werden. Beim Client-Side-Scanning werden Inhalte auf den Geräten der Nutzer:innen vor dem Versand von Nachrichten durchsucht und somit eine spätere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unterlaufen.
Zwar schreibt das BMI in ihrem Positionspapier, dass eine durchgängige und sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unerlässlich sei. Dies ist jedoch nach Aussagen weltweit führender Verschlüsselungsforscher:innen technisch unmöglich, wenn Client-Side-Scanning implementiert wird.
Faeser stellt sich mit dem Papier gegen den Koalitionsvertrag. Dort heißt es explizit: „Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.“
Das Innenministerium widerspricht damit auch dem liberalen Koalitionspartner. Das Justizministerium und das Digitalministerium, beide von der FDP geführt, haben sich deutlich gegen die Chatkontrolle positioniert und dem Innenministerium ihre „Roten Linien“ übersandt, die netzpolitik.org im Volltext veröffentlicht hat.
In dem Dokument der FDP-Ministerien heißt es, dass Messenger, Cloud-Speicher und Audiokommunikation im Gesetz ausgenommen werden sollen und Client-Side-Scanning explizit ausgeschlossen werden muss. Außerdem lehnen die Ministerien die Detektion von Grooming und von neuem Material, beispielsweise durch den Einsatz „künstlicher Intelligenz“ ab. Auch eine Identifizierung von Nutzer:innen mittels Personalausweis soll ausgeschlossen werden.
Keiner dieser Punkte ist im Positionspapier des BMI genannt. Stattdessen ist dort 15 Mal von einer „Konkretisierung“ die Rede, also der Korrektur von Details statt einer grundlegenden Infragestellung des Vorhabens.
Der FDP-Digitalpolitiker Maximilian Funke-Kaiser erinnert an die klare Position der FDP: „Wir haben im Koalitionsvertrag aus gutem Grund das Recht auf Verschlüsselung verankert und das gilt. Die Freien Demokraten haben und werden sich gegen jede Form einer Chatkontrolle stellen.“
Auch die SPD bezieht sich auf den Koalitionsvertrag. In einer Pressemitteilung zur Chatkontrolle aus vergangenem Mai heißt es, dass der Koalitionsvertrag für die SPD-Fraktion „Maßgabe für die Verhandlungen“ sei. Dort habe man allgemeine Überwachungspflichten und Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation ausdrücklich ausgeschlossen.
Noch konkreter äußerte sich damals SPD-Digitalpolitikerin Anna Kassautzki: „Dieser Vorschlag der Kommission geht mit unverhältnismäßigen und inakzeptablen Grundrechtseinschränkungen einher, ist mit dem Koalitionsvertrag der amtierenden Regierungskoalition nicht vereinbar, ist meines Erachtens weder grundgesetzkonform noch mit EU-Recht vereinbar.“
Der digitalpolitische Verein D64, der gute Beziehungen zur SPD hat, kritisiert Innenministerin Faeser heute scharf. Der Co-Vorsitzende Erik Tuchtfeld sagt: „Wenn die Bundesregierung den eigenen Koalitionsvertrag ernst nimmt, muss sie sich auf EU-Ebene entschieden gegen die Chatkontrolle stellen.“ Es sei insbesondere Nancy Faesers Aufgabe als Verfassungsministerin, Grundrechte und Demokratie in Deutschland zu verteidigen.
Kritik kommt auch von den Grünen. Der grüne Digitalpolitiker Tobias B. Bacherle sagt, dass der Koalitionsvertrag „absolut eindeutig“ sei. Die Chatkontrolle schieße weit über das Ziel hinaus.
Das Positionspapier ist zunächst nur ein Entwurf des Innenministeriums. Nun verhandeln die Koalitionspartner über die endgültige Position der Bundesregierung. Die Positionen könnten gegensätzlicher nicht sein: Faeser will die Chatkontrolle, Koalitionspartner und Teile der eigenen Fraktion sind dagegen.
Anmerkung:Warum ist das Vorhaben so gefährlich für Andersdenkende?Antwort: Ist diese Technologie einmal flächendeckend eingeführt, könnte sie nach allen möglichen Dingen suchen. Die Technologien sind nicht beschränkt darauf, nach Darstellungen von sexueller Gewalt zu suchen – oder nach Fotos von Drogen oder Demonstrationen.Die Chatkontrolle könnte für autoritäre Staaten ein Vorbild sein, um Anbieter auch auf die Suche nach anderen Inhalten zu schicken. Etwa um Andersdenkende noch effektiver zu jagen. Die Technologie ist da vollkommen neutral – und das macht es so gefährlich.
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (CSA-VO)
Für die Bundesregierung hat der Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen höchste Priorität. Daher begrüßt die Bundesregierung den Kommissionsentwurf als gemeinsames europäisches Vorgehen, das klare und dauerhafte Rechtsgrundlagen schafft. Ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen mit effektiven Meldewegen stellt einen wesentlichen Schritt im Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern dar. Dabei ist es wichtig, die Anbieter einschlägiger Dienste der Informationsgesellschaft stärker in die Verantwortung zu nehmen. Gleichzeitig ist es erforderlich, dass die geplanten Regelungen der CSA-VO im Einklang mit den grundrechtlichen Anforderungen insbesondere an den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation und an den Schutz der Privatsphäre in der Kommunikation stehen. Ein hohes Datenschutzniveau, ein hohes Maß an Cybersicherheit, einschließlich einer durchgängigen und sicheren Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in der elektronischen Kommunikation sind für die Bundesregierung unerlässlich.
Es werden die folgenden Forderungen der Bundesregierung festgehalten:
Der Verordnungsentwurf sieht die Möglichkeit der Anordnungen zum Aufdecken von bereits bekannten sowie neuen Missbrauchsdarstellungen und „Grooming“ vor. Aus Sicht der Bundesregierung bedarf die Ausgestaltung möglicher Anordnungen deutlicher Konkretisierung, um einen größtmöglichen Schutz aller betroffenen Grundrechte sicherzustellen. Neben die Grundrechte von Nutzerinnen und Nutzer von Diensten, die Adressat einer Aufdeckungsanordnung werden, treten die Grundrechte von sexuellem Missbrauch betroffene Kinder und Jugendlicher. Vor diesem Hintergrund sind insbesondere folgende Konkretisierungen zu fordern: