Staatsanwalt bestimmt autoritär, was geschichtliche Wahrheit ist und kriminalisiert Bloggerin

Sowie der Staat seine Kompetenzen überschreitet und bestimmend in die Wissenschaften und die Meinungsfreiheit der Bürger eingreift, beginnt der Totalitarismus. 

Von Herbert Ludwig auf Fassadenkratzer

Gegen eine deutsch-russische Bloggerin wird von der Staatsanwaltschaft ermittelt, weil sie sich in ihren Berichten aus Russland und dem Donbass mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine solidarisiere und ihn gutheiße. Da dieser Angriff ein völkerrechtswidriges Verbrechen sei, und sie dieses mit ihren Berichten und Kommentaren in einer Weise billige, die geeignet sei, das psychische Klima innerhalb der deutschen Bevölkerung aufzuhetzenden und so den öffentlichen Frieden zu stören, mache sie sich nach § 140 StGB strafbar.

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Alina Lipp, als Tochter einer Deutschen und eines Russen 1993 in Hamburg geboren und in Niedersachsen aufgewachsen, lebt seit sechs Monaten in Donezk und betreibt einen Telegram-Kanal „Neues aus Russland“, in dem sie seit Februar als Journalistin aus der von den Kriegshandlungen betroffenen Region authentisch und unmittelbar berichten konnte – und zwar aus russischer Sicht. Ihre Informationen aus erster Hand ließen die Zahl ihrer Abonnenten innerhalb von nur wenigen Monaten von einigen Tausend auf 155.000 anwachsen. 

Dass gegen sie ermittelt wird, wurde ihr schon Anfang Mai deutlich, als die Staatsanwaltschaft nur unter Angabe eines Aktenzeichens von ihrem deutschen Konto 1.600 Euro abbuchte1 und weitere 12.000 Euro auf ihrem deutschen Spendenkonto sperren2 ließ. Nun stellte Alina Lipp das inzwischen erhaltene Schreiben der Staatsanwaltschaft, mit dem ihr die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens mitgeteilt und begründet wird, ins Netz.

Da der „am 24. Februar begonnene Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ eine Straftat nach § 13 des Völkerstrafgesetzbuches (Verbrechen der Aggression) darstelle, sei auch deren Gutheißung nach § 140 in Verbindung mit § 138 Abs.1 Nr.5 StGB strafbar. 

„Die Beschuldigte bringt in einer Mehrzahl von öffentlich einsehbaren eigenen Social-Media-Accounts fortlaufend ihre Solidarisierung mit dem am 24.02.2022 begonnenen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, mithin zu einem Verbrechen der Aggression nach § 13 Abs.1 VStGB, zum Ausdruck und heißt dieses gut.

Ihre Äußerungen sind dabei geeignet, das psychische Klima auch innerhalb der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands aufzuhetzen, aufgrund zumindest verzerrender, teils auch wahrheitswidriger Darstellungen einen Dissens innerhalb der Gesellschaft herbeizuführen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufzulösen, Zweifel an der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Meinungsbildung und der Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung der Bundesrepublik Deutschland zu säen und dadurch das Vertrauen in die Rechtssicherheit und die Vertrauenswürdigkeit des demokratischen Systems im Inland insgesamt zu erschüttern, was ihr auch bewusst ist und sie zumindest billigend in Kauf nimmt, zumal sich ihre Postings – gezielt – an ein deutsches ´Publikum` richtet.“ 3

140 StGB lautet, insofern er hier relevant ist:

Wer eine der in § 138 Absatz 1 (…) Nr. 5 letzte Alternative ((Verbrechen der Aggression n. § 13 VStGB, hl.) genannten rechtswidrigen Taten (…)

1. (…)

2. in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Zur Strafbarkeit müssen also zwei Bedingungen erfüllt sein:

1.   Russland muss einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führen, den die Beschuldigte billigt;

2.  die Billigung muss in einer Weise geschehen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

1.  Die Frage des Angriffskrieges

Ob Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, ist umstritten. Die Ukraine und der sie unterstützende Westen behaupten dies, Russland bestreitet es und hält seine Operation für gerechtfertigt. Auch der deutsche Staat ergreift für die Ukraine Partei. Doch die Staatsanwaltschaft hat noch nicht einmal ein unabhängiges Gutachten dazu eingeholt. Es gibt auch bisher keine von den Parteien unabhängige Instanz, die diese Frage zweifelsfrei geklärt hätte. Solange das nicht der Fall ist, kann eine öffentliche Zustimmung zur russischen Position nicht Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung nach § 140 StGB sein.

Ob es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands handelt, ist eine Erkenntnisfrage der Zeitgeschichte, ist von unabhängigen Historikern und Völkerrechtlern, von der Wissenschaft also, zu untersuchen und kann nicht aus dem Handgelenk von politisch weisungsgebundenen Staatsanwälten einfach behauptet werden. Eine solche Untersuchung muss unvoreingenommen, objektiv, jenseits parteiischer politischer Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände und vorangegangener Ereignisse stattfinden.

Solche wissenschaftlichen Untersuchungen finden unter Historikern auch bereits statt. So hält z.B. der US- Menschenrechtler Prof. Daniel Kovalik, der Internationale Menschenrechte an der Universität von Pittsburgh School lehrt, den Vorwurf des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges an Russland nicht für gerechtfertigt.4 Auch der US-Politikwissenschaftler an der Universität von Chicago, John Joseph Mearsheimer, äußert sich in Vorlesungen von anderen Gesichtspunkten aus ähnlich. Andere Wissenschaftler widersprechen ihm.5

Es ist nur natürlich, dass sich auch der normale Bürger an der Suche nach der Wahrheit beteiligt, indem er sich der einen oder der anderen begründeten wissenschaftlichen Auffassung anschließt. Und seine Ansicht frei zu äußern, ist, unabhängig davon, ob sie der Wahrheit wirklich entspricht, vom unveräußerlichen Grundrecht der Meinungsfreiheit des Grundgesetzes gedeckt. Und dieses vorstaatliche Grundrecht geht allen staatlichen Gesetzen und Verordnungen vor.

So weist auch der in Russland lebende Blogger Thomas Röper vom anti-spiegel6 in seinen Überlegungen auf wichtige Aspekte des Völkerrechts hin. Es gäbe da zwei Bestimmungen, die einander widersprächen. Zum einen die Unverletzbarkeit der Grenzen von Staaten und zum anderen das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die früher ungeklärte Frage, welche nun vorgehe, sei durch die vom Westen unterstützten Abspaltung des Kosovo von Jugoslawien geklärt worden. Der Internationalen Gerichtshof, durch Stellungnahmen aller westlichen Staaten unterstützt, habe entschieden, dass eine Region sich von ihrem Zentralstaat lossagen könne und dass dies nicht dem Völkerrecht widerspreche.

Damit habe, so Thomas Röper, der Westen sich zwar die Aktion mit dem Kosovo im Nachhinein legalisiert, aber er habe auch die Büchse der Pandora geöffnet, denn nun könnten sich auch andere Volksgruppen darauf berufen, die sich für unabhängig erklären oder das tun möchten. Und genau das sei in der Ukraine passiert. Im Mai 2014 habe es auch im Donbass Referenden gegeben mit dem Ergebnis, ähnlich wie auf der Krim, einer überwältigenden Zustimmung zur Vereinigung mit Russland. Daher haben sich die Donbass-Republiken von der Ukraine schließlich unabhängig erklärt, was gemäß Kosovo-Urteil des Internationalen Gerichtshofs vollkommen vom Völkerrecht gedeckt sei.

Russland habe deren Unabhängigkeit im Februar 2022 anerkannt, mit ihnen Beistandsabkommen geschlossen, und Russland sei, als die Ukraine den Beschuss des Donbass Ende Februar verstärkt habe, – den Beistandsabkommen entsprechend – den Donbass-Republiken zu Hilfe gekommen. Nach dem vom Westen selbst geschaffenen Präzedenzfall Kosovo handle Russland vollkommen im Rahmen des Völkerrechts, von einem „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ könne nicht die Rede sein.

Wenn es nach der deutschen Staatsanwaltschaft ginge, müsste auch Thomas Röper nach § 140 StGB bestraft werden, ja ebenso jeder Wissenschaftler, der aus guten Gründen die Agressions-These bestreitet. Das zeigt, dass es sich nicht nur um einen Eingriff in die Meinungsfreiheit, sondern ebenfalls in die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Wissenschaft handelt. Diese bedenkenlosen Eingriffe in fundamentale demokratische Grundrechte dokumentieren den Gang in den Totalitarismus, den auch die Staatsanwaltschaften angetreten sind.

 

2.  Die Frage der Störung des öffentlichen Friedens

 Zur Begründung dafür – um es noch einmal zu wiederholen -, dass Alina Lipp mit ihren (angeblich verzerrenden und  wahrheitswidrigen) Äußerungen den öffentlichen Frieden störe, bringt der Staatsanwalt vor, diese seien geeignet, (a) „einen Dissens innerhalb der Gesellschaft herbeizuführen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufzulösen, (b) Zweifel an der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Meinungsbildung und der Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung der Bundesrepublik Deutschland zu säen und dadurch das Vertrauen in die Rechtssicherheit und die Vertrauenswürdigkeit des demokratischen Systems im Inland insgesamt zu erschüttern“ (c) und so „das psychische Klima auch innerhalb der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands aufzuhetzen“.

a) Dissens, Meinungsverschiedenheit, ist das Normale in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft von freien Individualitäten, die nicht vorgegebene „Wahrheiten“ eines Obrigkeitsstaates übernehmen, sondern aus eigenem Erkenntnisbemühen nach der Wahrheit streben. Im freien Austausch unterschiedlicher Gesichtspunkte wird die individuelle Erkenntnissuche gerade ergänzt und befruchtet, so dass sich idealiter schließlich alle oder zumindest die meisten in der einen Wahrheit treffen. Dadurch entsteht erst der gesellschaftliche Zusammenhalt. Dieser wird also durch das Geltendmachen aller Ansichten gerade gefördert.

b) Wenn mit dem Äußern anderer Sichtweisen, als sie von den deutschen Medien verbreitetet werden, automatisch Zweifel an der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Meinungsbildung und der Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung der Bundesrepublik Deutschland entstehen, ist das nicht Alina Lipp vorzuwerfen. Dann kommt es einzig und allein darauf an, ob diese Zweifel berechtigt sind. Und sie sind es im größten Maße, wie hier auf diesem Blog in zahlreichen Artikeln nachgewiesen und beklagt worden ist.7

Durch die einseitige, verzerrte und parteiische propagandistische Berichterstattung der Mainstream-Medien, insbesondere der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wird gerade die Rechtssicherheit und nicht nur die Vertrauenswürdigkeit des demokratischen Systems im Inland insgesamt erschüttert, sondern die Demokratie selbst in ihrem Kern, der Urteilsfähigkeit des Bürgers, direkt ausgehebelt.

c) Das psychische Klima innerhalb der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands wird nicht durch Zweifel an der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Meinungsbildung und der Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung der Bundesrepublik Deutschland aufgehetzt, sondern durch die einseitige politische Propaganda der Mainstream-Medien, die andere Auffassungen diskreditieren und als „Hassreden“ verfolgen, also die Verletzung der Meinungsfreiheit in größtem Maße betreiben. 8

Die eigentliche Zielgruppe der Staatsanwaltschaft

Thomas Röper macht noch auf einen wesentlichen Punkt aufmerksam, der von Politik und Mainstream-Medien geflissentlich verschwiegen wird. Er schreibt:

„Bevor die deutsche Staatsanwaltschaft gegen jemanden wegen der Billigung eines Angriffskrieges ermittelt, sollte sie in meinen Augen erst einmal gegen diejenigen ermitteln, die tatsächlich Angriffskriege geführt haben, ´die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen` darstellen. Davon gibt es in Deutschland nämlich sehr viele.

Da wäre zum Beispiel die Regierung von Bundeskanzler Schröder, die einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien geführt hat, der ´eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen` dargestellt hat. Dass der Jugoslawienkrieg ein Verstoß gegen das Völkerrecht, also ´eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen` war, sagt Schröder ja auch ganz offen (im Video ab Minute 2.30), nur interessiert sich kein einziger deutscher Staatsanwalt dafür.“

Aber es komme noch besser. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages habe am 20. September 2018 ein Gutachten veröffentlicht, in dem festgestellt worden sei, dass sogar jeder Abgeordnete, der für einen völkerrechtswidrigen Bundeswehreinsatz gestimmt hat, sich entsprechend strafbar gemacht habe:

„Strafbar machen kann sich nach § 13 Abs. 4 VStGB eine Person, „die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken“ – mithin auch Abgeordnete eines Parlaments, das den Auslandseinsatz der Streitkräfte zu mandatieren hat.“

Das habe so in dem Gutachten im Zusammenhang mit einer möglichen Beteiligung der Bundeswehr an „Vergeltungsschlägen“ der USA gegen Syrien 2018 gestanden, aber das gelte genauso für jeden anderen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, an dem sich Deutschland beteilige (oder beteiligt habe) und für den ein Abgeordneter gestimmt habe.9 –

Wir sehen, die Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien hat in der bundesrepublikanischen Parteien-Oligarchie schon früher begonnen, die gegenwärtig hinter formaldemokratischer Fassade auf allen Ebenen in eine totalitäre Diktatur übergeht. 

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Artikel auch zum Hören auf: https://fassadenkratzer.wordpress.com/2022/06/28/staatsanwalt-bestimmt-autoritar-was-geschichtliche-wahrheit-ist-und-kriminalisiert-bloggerin/