In Großbritannien wurden Werke von Hobbes, Locke, Tolkien, Huxley und natürlich „1984“ von Orwell auf eine Gefahren-Liste gesetzt: Deren Lektüre könnte zur Radikalisierung führen. Es ist kein Zufall, dass die Woken als ihren Feind die Aufklärung, Literatur und Kunst ausgemacht haben – denn Aufklärung, Literatur und Kunst befähigen zum Selberdenken.
VON KLAUS-RÜDIGER MAI auf Tichys Einblick
Wenn die Woken, also diejenigen, die am liebsten jeden bestrafen möchten, der die simple biologische Wahrheit ausspricht, dass es nur zwei Geschlechter gibt, die an Werke der Kunst und an wissenschaftliche Texte nur noch ihren ideologischen Maßstab anlegen, ihre Herrschaft ausbauen, dann wird in nicht allzu ferner Zukunft der Besitz von Büchern als Verbrechen gelten. Die EU würde eine Richtlinie, die im grünen Deutschland noch verschärft werden würde, erlassen, dass Bücher fortan nur noch online gelesen werden dürfen, damit gewährleistet wird, dass der Text der Bücher ständig verändert werden kann, damit Bevölkerungsgruppen im Text nicht „unsichtbar“ bleiben oder der Leser nicht radikalisiert werden könnte.
Schließlich werden in der schönen woken, grünen Welt Texte beständig den regelmäßig erlassenen Proskriptionslisten für Wörter angepasst. Keinesfalls darf ein Text beim Leser dazu führen, dass er die falschen Fragen stellt. Am besten er kommt gar nicht erst auf die Idee, Fragen zu stellen, sondern glaubt fest an die klimaneutrale Gesellschaft, besucht – sofern er weiß ist – einmal im Monat ein Antirassismus-Training, das er selbstverständlich gern aus eigener Tasche bezahlt. Der Besitz gedruckter Bücher erlaubte womöglich den gefährlichen Vergleich zwischen dem Text der Erstausgabe und der online zur Verfügung gestellten verbesserten woken Variante.
Der Anteil an Fiktion in dieser Schilderung ist leider so verschwindend gering, dass es jeden mit Sorge erfüllen sollte. Um nur einige Beispiele zu nennen – und da die Zerstörung der Kultur inzwischen aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien nach Europa und eben auch nach Deutschland überschwappt –, lohnt es den Blick über den Kanal nach Großbritannien zu richten.
Der Guardian berichtet darüber, dass der Verleger der Kinderbücher von Roald Dahl alles aus den Texten von Dahl entfernen lässt, was in der woken Zuchtanstalt als anstößig gelten könnte. Beschreibungen physischer Erscheinungen wie „fett“ oder „hässlich“ werden, wie Guardian und Daily Telegraph berichten, aussortiert. So ist Mr. Augustus Gloop in „Charlie und die Schokoladenfabrik“ nicht mehr „fat“, sondern „enorm“ und in The Twits ist Mrs Twit nicht mehr „hässlich und tierisch“, sondern „bestialisch“. So schreibt der Guardian: „Hunderte von Änderungen wurden am Originaltext vorgenommen – und einige Passagen, die nicht von Dahl stammen, wurden hinzugefügt …“ In The Witches endet ein Absatz, in dem erklärt wird, dass Hexen unter ihren Perücken kahl sind, mit der neuen Zeile: „Es gibt viele andere Gründe, warum Frauen Perücken tragen könnten, und daran ist sicherlich nichts auszusetzen.“
Der Verlag arbeitet mit einer Organisation zusammen, die sich Inclusive Minds nennt und über sich sagt: „Inclusive Minds wurde im Januar 2013 gegründet und ist ein Kollektiv für Menschen, die sich leidenschaftlich für Inklusion, Vielfalt, Gleichberechtigung und Barrierefreiheit in der Kinderliteratur einsetzen, dafür, das Gesicht von Kinderbüchern zu verändern.“ Was die Mitbegründerin von Inclusive Minds, Alexandra Strick, dazu berechtigt, in fremden Texten herumzufuhrwerken, bleibt allerdings ihr Geheimnis, denn ihr Lebenslauf ist äußerst luftig und großzügig gestaltet.
Aber in Großbritannien wird Zensur nicht nur von NGOs betrieben, wie Douglas Murray gerade im Spectator schrieb, sondern auch von staatlichen Organisationen. So erregte der „ausgezeichnet umfassende Bericht von William Shawcross“ in Großbritannien großes Aufsehen und brachte woke und linke Medien zum Schäumen. Shawcross hat das Prevent-Programm der britischen Regierung, das Menschen helfen soll, nicht in den Extremismus abzugleiten, analysiert und festgestellt, dass es sich im Grunde auf seine forcierte Vorstellung von Rechtsextremismus fokussiert.
Dieses Regierungsprogramm wird unter anderem von der linken Aktivistengruppe „Hope not Hate“ beraten, die vielleicht verglichen werden könnte mit der in Deutschland üppig vom deutschen Steuerzahler mitfinanzierten Amadeu Antonio Stiftung. Murray spottete bitter, dass Gruppen wie „Hope not Hate“ die Definition von Rechtsextremismus auch auf die Ansichten von Menschen, die für den Brexit waren, ausweiten, und kommt zu dem Fazit, dass sie „versuchten, letztendlich Meinungen zu stigmatisieren, die in vielen Fällen (zum Beispiel zum Brexit und zur Einwanderung) von einer Mehrheit der britischen Bevölkerung geteilt wurden“.
Nun tauchten in der britischen Presse am letzten Wochenende Berichte über eine Analyse der „Research Information and Communications Unit“ (RICU) von Prevent aus dem Jahr 2019 auf. RICU durchforschte Social-Media-Accounts, wenn die Nutzer Informationen oder Meinungen von Kommentatoren lasen, die Pro-Brexit oder Mitte-Rechts-Positionen vertraten. Murray spottete über RICUs Vorgehen: „Jeder, der diese Kolumne liest, ist also genauso gefährdet, ‚radikalisiert‘ zu werden, wie ein junger Muslim, der mit einer Tonbandaufnahme von Ayman al-Zawahiri oder Osama bin Laden abhängt …“
Doch damit nicht genug, Murray fand Listen von Büchern, deren Lektüre oder Besitz nach Ansicht von RICU auf die Gefahr der Radikalisierung hindeutet. Auf den Listen der RICU standen laut Douglas Murray Bücher über die Vergewaltigungsopfer von Rotherham, ein Buch von Murray, aber auch Werke wie der „Leviathan“ von Thomas Hobbes, John Lockes „Two Treatises of Government“ und Edmund Burkes „Reflections on the Revolution in France“, Werke von Thomas Carlyle, Adam Smith, CS Lewis, JRR Tolkien, Aldous Huxley, Joseph Conrad und natürlich „1984“ von George Orwell. All diese Bücher könnten, fasst Murray zusammen, laut Ansicht von RICU zur Radikalisierung führen. Das ist natürlich richtig, denn alle diese Bücher machen aus einem Bürger keinen Untertan, im Gegenteil, sie fordern, um mit Immanuel Kant zu sprechen, ihn auf, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und selbst zu denken.
In der Schweiz lehnt ein Lehrer ab, im Deutschunterricht das Stück „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt zu behandeln, wenn nicht der Diogenes Verlag ein Wort in zwei Regieanweisungen entfernt, das „insgesamt zehn Schülerinnen“ beanstandet haben. Der Lehrer, der sofort mediale Aufmerksamkeit bekam, twitterte: „Das Buch gilt an diversen Bildungsinstitutionen in der Schweiz und in Deutschland als Pflichtlektüre. Es kann nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht eine rassistische Darstellung lesen müssen, die sie in ihrer Identität abwertet.“ Durchaus diktaturgeeignet, der Mann. Beanstandet wurde das Wort Neger, das Dürrenmatt zweimal verwendete, um den Unterschied der beiden Pfleger deutlich zu machen.
In Brandenburg hat man von vornherein vermieden, in dieserart Probleme zu geraten, denn da liest man im Literaturunterricht Jahrhundertwerke wie „Auerhaus“ von Bov Bjerg und „Weggesperrt“ von Grit Poppe statt Dürrenmatts „Physiker“ oder Goethes „Faust“.
Es ist kein Zufall, dass die Woken als ihren Feind die Aufklärung, die Literatur und die Kunst ausgemacht haben, denn Aufklärung, Literatur und Kunst befähigen zur Freiheit. Der Angriff auf die Aufklärung, die Literatur und die Kunst wird in Deutschland auch dadurch geführt, dass Preise und Arbeitsstipendien an alles geht, was nichts mit Aufklärung, Literatur und Kunst zu tun hat, wie auch die Verleihung des Börne-Preises an Robert Habeck belegt.
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