Kann ein Like strafbar sein? Das Landgericht Meiningen bejaht diese Frage erstmals und rechtfertigt dafür sogar Hausdurchsuchungen. Das fragwürdige Urteil erlaubt es Strafverfolgungsbehörden somit mit Bazookas auf Spatzen schießen – und verschiebt die Grenze der Meinungsfreiheit.
Ein Kommentar von Daniel Leisegang auf netzpolitik.org
Likes bilden den Treibstoff sozialer Netzwerke. Werden Beiträge per Klick mit Herzchen, Sternchen oder gerecktem Daumen versehen, erhalten sie bekanntlich mehr Verbreitung, mehr Aufmerksamkeit und damit weitere Likes. Dass ein gereckter Daumen eine strafbare Äußerung sein kann, die sogar Hausdurchsuchungen rechtfertigt, ist indes neu. So entschied das Landgericht Meiningen (Az. 6 Qs 146/22) und bestätigte damit ein vorangegangenes Urteil des dortigen Amtsgerichts. Sollte das Urteil Bestand haben, wird dies nicht nur Folgen für die sozialen Netzwerke haben, sondern darüber hinaus die Grenzen der Meinungsfreiheit verschieben.
Das Amtsgericht hatte im Juni die Durchsuchung der Wohnung und des Kraftfahrzeuges eines Beschuldigten angeordnet. Dieser hatte zuvor auf Facebook einen Eintrag von „Arminius Hetzer Hermann“ geliked, indem er ihn mit dem Emoji einer Faust mit nach oben gereckten Daumen versah. In dem Eintrag hatte „Arminius Hetzer Hermann“ die Trauerfeier zweier Polizist:innen, die im Januar bei einer Verkehrskontrolle im pfälzischen Landkreis Kusel erschossen worden waren, mit den Worten kommentiert „Keine einzige Sekunde Schweigen für diese Kreaturen.“ Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass sich der Beschuldigte die Aussage mit seinem Like zu eigen gemacht habe und ordnete die Hausdurchsuchung an, um Smartphones und „sonstige elektronische Speichermedien“ sicherzustellen.
Hausdurchsuchung wegen eines Likes
Der Beschuldigte war nicht der einzige, dessen Wohnräume durchsucht wurden. Am Tag, bevor der Gerichtsprozess gegen die beiden des Polizist:innenmordes Angeklagten begann, durchsuchte die Polizei in 15 Bundesländern die Wohnungen von 75 Personen, denen sie die Veröffentlichung von Hass-Postings vorwarf. Mehr als 180 Geräte wurden dabei beschlagnahmt, darunter vor allem Laptops und Smartphones.
Der Beschuldigte legte Widerspruch gegen die Hausdurchsuchung beim Landgericht Meiningen ein. Er habe keinen eigenen Eintrag verfasst, sondern nur das Posting eines anderen Nutzers mit einem Like versehen. Damit habe er sich weder dessen Inhalt zu eigen gemacht noch stünde dieser Eintrag in direktem Zusammenhang mit dem Mord an den Polizist:innen. Die Bezeichnung „Kreaturen“ beziehe sich vielmehr auf die Polizei als Ganzes, eine persönliche Verunglimpfung liege daher nicht vor.
Das Gericht überzeugte diese Argumentation nicht. Es kam zu dem Schluss, dass die Durchsuchung „wegen der Schwere und Stärke des Tatverdachts“ verhältnis- und rechtmäßig sei. Der Verdächtige „sei sowohl der Billigung von Straftaten als auch des Verunglimpfens des Andenkens Verstorbener (nach § 189 StGB) hinreichend verdächtig“ gewesen. Dafür habe es ausgereicht, dass er den Facebook-Eintrag mit dem Emoji versehen habe. Die Faust mit nach oben gereckten Daumen könnten selbst „Rezipienten im Vorschulalter“ eindeutig verstehen.
Zum einen ist die Annahme des Gerichts fragwürdig, der Beschuldigte hätte sich den Inhalt des Facebook-Eintrags mit seinem Like „zu eigen gemacht“. Selbst wenn die pietätlose Bezeichnung „Kreaturen“ in dem Facebook-Eintrag den ermordeten Polizist:innen „ersichtlich die Menschenwürde [abspricht]“ und daher als „schwere Ehrkränkung“ anzusehen ist, wie das Gericht behauptet, bedeutet das nicht, dass sich damit auch jene schuldig machen, die diese Äußerung öffentlich gutheißen.
Letztlich differenziert das Landgericht unzureichend zwischen einer Beleidigung und deren Billigung – eine Unterscheidung, die wir im analogen Leben treffen. Das Gericht muss sich daher fragen lassen, ob es künftig auch Häuser von Menschen durchsuchen lassen will, die etwa auf einer Kabarettveranstaltung eine mutmaßlich rechtswidrige Äußerung oder Ehrkränkung beklatschen oder auch nur dazu lachen.
Das Landgericht geht aber noch weiter: Laut Urteil habe der Beschuldigte einen Mord „in einer Weise öffentlich gebilligt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Allerdings trifft dies – laut Paragraph 140 des deutschen Strafgesetzbuchs (mit Verweis auf Paragraph 126) – nur dann zu, wenn Äußerungen handfest zu Gewalt, gemeingefährlichen Vergehen oder Landfriedensbruch aufstacheln. Likes in sozialen Netzwerken sind dort nicht aufgeführt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Gericht die Grenzen der Meinungsfreiheit erheblich verengt. Denn bislang zog das Strafrecht diese Grenze erst dort, wo zu handfester Gewalt aufgerufen wird.
Mit der Ermittlungsbazooka auf Like-Spatzen
Zum anderen ist die Durchsuchungsanordnung alles andere als verhältnismäßig. Sie diente laut Gericht dazu, „die Daten auf dem emittierenden Endgerät“ als Beweismittel sicherzustellen und das „Tatwerkzeug“ einzuziehen. Weniger einschneidende Maßnahmen seien sowohl im Juni als auch rückblickend nicht verfügbar gewesen.
Der Beschuldigte hat jedoch offenbar zu keiner Zeit bestritten, die Bewertung des Facebook-Eintrags vorgenommen zu haben. Die Sicherstellung des „Tatwerkzeugs“ Smartphone ist daher auch für den Verlauf der Ermittlungen unerheblich gewesen. Warum also diese drastische Maßnahme, die einen erheblich in die Privatsphäre der betroffenen Person eingreift?
Das Smartphone hier wie ein Messer oder eine Pistole als Beweismittel zu nutzen, zeugt entweder von digitaler Unkenntnis – oder aber Polizei und Gerichte wollen mit Ermittlungsbazookas auf Like-Spatzen schießen. Dann aber stellt sich die Frage, ob ihr entschiedenes Vorgehen damit zu tun hat, dass in diesem Fall keine österreichische Ärztin oder junge Twitch-Streamerin, sondern Beamt:innen aus den eigenen Reihen betroffen waren.
Sollte das Gerichtsurteil bestehen bleiben, hat dies gravierende Folgen für die Meinungsfreiheit – und zwar über das Internet hinaus. Abgezeichnet hatte sich diese Entwicklung bereits Ende 2020, als die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main erstmals Strafverfahren wegen Facebook-Likes einleitete. Damals sagten die Beamt:innen aber immerhin noch offen, dass die Verfahren der „Verwarnung“ dienten. Und nur wenige Monate zuvor hatten in der Bundestagsdebatte um die Novellierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sogar Abgeordnete der Regierungsfraktionen „unzureichende Begriffsklärungen“ eingeräumt, etwa in der Frage, ob ein Like laut NetzDG den Strafbestand des „Billigens“ erfülle oder nicht. Fahrlässigerweise klären nun Gerichte diese Frage – zulasten der Meinungsfreiheit und der Grundrechte der Bürger:innen.
Hier gefunden: https://netzpolitik.org/2022/meinungsfreiheit-mit-hausdurchsuchungen-gegen-likes/