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Hexenjagd auf kritischen Professor: Arbeitsrecht, Meinungsfreiheit und Rechtstaat auf dem Prüfstand

Nicht erst sein Beginn der „Pandemie“ macht sich der ungemütliche Trend der „Cancel Culture“ (etwa: „Streichkultur“) aus den USA vermehrt in Europa bemerkbar. Jüngst hat es Prof. Dr. Günter Roth „erwischt“, der an der Hochschule München Sozialmanagement und -Politik unterrichtet. In Folge einiger „kritischer“ Äußerungen zu den Auswirkungen der „Pandemie“, allen voran die Erosion der Bürgerrechte unter dem Vorwand der „Corona-Krise“ betreffend, wurde Herrn Roth Anfang des Jahres seitens des Rektorats mit anonymen Beschwerden von Studierenden konfrontiert. Bei genauerer Betrachtung, nicht zuletzt unter Berücksichtigung eines durchaus vergleichbaren Vorfalls in den USA, fällt es schwer, diesen vermeintlichen Disput unkommentiert zu belassen. Eine Abenteuerreise durch die „Neue Normalität“ (C.J. Hopkins).

Von  auf tkp.at

Der Tragödie 1. Akt: Universitäre Lehre in Zeiten von Corona

Im Herbst 2021 hatte Günter Roth, der neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit auch seine eigene Online-Präsenz betreibt (siehe hier), einen lesenswerten Essay unter dem Titel „Erosion der Menschlichkeit“ (Rubikon-News, 12. Dez. 2021) verfasst, in dem er sich ausdrücklich gegen die von Politikern, Gesundheitsexperten und den Leit- und Qualitätsmedien unverhohlen zu Tage gestellte Diskriminierung nicht gegen Corona geimpfter Menschen und die dräuende allgemeine Impfpflicht positionierte:

Ich wende mich insbesondere an die allgegenwärtigen, scheinbar so vernünftig und wohlmeinenden, dabei aber höchst selbstgerecht und überheblich moralisierenden, geschichtsvergessenen und ignoranten „Nannys“, die mich zum infantil und euphemistisch genannten „Piks“ im Dienste vermeintlicher Solidarität zwingen wollen und die auch noch ständig verzerrend und verkürzend reklamieren, „die Wissenschaft“ sei eindeutig auf ihrer Seite.

Die in den letzten Wochen eskalierenden, zum Teil verrohenden Diskussionen, mit einer zusehends populärer werdenden „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ gegen „Impfverweigerer“ geben mir größten Anlass zur Sorge, dass der unter dem Eindruck der Entmenschlichung durch das NS-Regime formulierte „Nürnberger Kodex“ wie auch das „Genfer Gelöbnis“ des Weltärztebundes bald ignoriert werden könnten. Schon stehen ja immer mehr Rechtsgelehrte „Gewehr bei Fuß“ und sekundieren, eine Impfpflicht oder gar Impfzwang sei mit dem Grundgesetz vereinbar, was lange als ausgeschlossen galt.

Im Rahmen seiner damaligen Lehrveranstaltungen zu den Themen „Handlungsfelder im internationalen Vergleich“ bzw. „Wohlfahrtsstaat und Demokratie“ habe Günter Roth am 12. Dez. 2021 auf den erwähnten Appell verwiesen und eine dahingehende Diskussion zu dieser Frage anregen wollen.

Dies war jedoch bei zumindest zwei Studenten auf so großen Widerspruch gestoßen, dass diese sich anonym an die Hochschulleitung wendeten, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.

Mehr als einen Monat später, am 14. Jan. 2022, erhielt Günter Roth eine Email der Rechtsabteilung der Hochschule München, die ihn ohne Nennung allfälliger Details zu einem „Personalgespräch/Anhörung“ einluden. Dieses Gespräch fand am 27. Jan. 2022 statt, und obwohl Herrn Roth keine Einsicht in die studentischen Beschwerden gewährt wurde, erläuterte ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung die Vorwürfe und kündigte eine „Ermahnung“ von Prof. Martin Leitner, dem Präsidenten der Hochschule an; laut einer öffentlichen Stellungnahme von Günter Roth wurden ihm im Rahmen dieses Gesprächs auch „mündlich mögliche Konsequenzen erläutert (drohende Kündigung)“.

Günter Roth hat sich gegen dieses Vorgehen seitens der Hochschulleitung juristisch zur Wehr gesetzt, und das laufende Verfahren wird am kommenden 13. Dez. 2022 am Arbeitsgericht München verhandelt.

Einige Anmerkungen zu dieser misslichen Angelegenheit

Nun bin ich als Hochschullehrer möglicherweise in einem gesteigerten Maße von diesen und ähnlichen Verfahren womöglich mehr und (oder) eher betroffen als die meisten anderen Menschen. Ich selbst habe bislang keine vergleichbaren Angriffe erdulden müssen, aber als ich Günter Roths Stellungnahme gelesen habe, musste ich sogleich an Mark Crispin Miller denken.

Der an der New York University Medien- und Kommunikationswissenschaften lehrende Miller erfuhr im Herbst 2021 eine ähnliche Behandlung durch die Universitätsverwaltung: im Rahmen einer Lehrveranstaltung zum Themenfeld „Propaganda“ hatte er die über Zoom versammelten Studierenden dazu aufgefordert, die zu dem damaligen Zeitpunkt vorliegenden Studien über die Effektivität von Masken zu lesen, um diese Erkenntnisse den in den Medien transportierten Aussagen hierzu gegenüber zu stellen. Eine studentische Beschwerde führte zu der Ankündigung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens durch die Fakultät und der öffentlichen Denunziation durch Millers Kollegen. Letztlich blieb ihm auch nur der Gang zum Gericht. Die Unterlagen über das Verfahren finden Sie hier.

Die Gemengelagen sind zwar nicht 1 : 1 vergleichbar, weisen aber in jedem Fall einige Gemeinsamkeiten auf:

  • Die – meines Erachtens durchaus als fragwürdig zu bezeichnende – Vorgehensweise seitens des Arbeitgebers, auf Zuruf umgehend mit Disziplinarmaßnahmen zu reagieren.
  • Betreffend die studentischen Vorbehalte wäre eine Auseinandersetzung mit den geäußerten Vorwürfen von allen Seiten notwendig.
  • Auf einer rein argumentativ-diskursiven Ebene betrachtet sind zudem krasse – und unangemessene – Verallgemeinerungen seitens der Studenten bzw. der Hochschulleitung anzuführen, die der Situation ein besonders perfides „G’schmäckle“ verleihen.

Kainsmal unserer Zeit

Wie auf Günter Roths Homepage dargestellt, so wirken die studentischen Vorwürfe zum Teil als Vorboten dessen, was im US-amerikanischen Hochschulwesen mittlerweile recht weit verbreitet ist, aber auch in Europa mittlerweile auf dem Vormarsch ist: anonyme Denunziation, das Beanspruchen der eigenen moralischen Überlegenheit und die Forderung nach Zensur.

Hierbei wird sehr häufig auch vermittels Schuldzuweisungen durch Assoziation vorgegangen, was in dem gegenständlichen Fall wie folgt geschieht: da Herr Roth unter anderem auf der Plattform Rubikon-News publiziert, auf der auch andere ungenehme Personen (z.B. Daniele Ganser) ebenso einen Platz finden wie allerdings nicht weiter ausgeführte „Verschwörungstheorien zu 9/11 verbreitet“ werden, steht auch er unter Verdacht.

Roth wird durch die anonymen Beschwerden weiter vorgehalten, jenseits der erwarteten und erwartbaren „guten wissenschaftlichen Praxis“ zu agieren bzw. es wird nahegelegt, dass er sich unprofessionell verhalte. Dies erscheint wenig plausible, da Roth ja seit einem Jahrzehnt an der Hochschule München lehrt und keine Hinweise auf andere Verfehlungen dieser Art vorliegen.

Den Verweis von Hochschulpräsident Leitner auf eine an ein breiteres Publikum gerichtete Veröffentlichung und die ebenda verwendeten Begriffe ist indes: frivol.

Die größeren Zusammenhänge der „Causa Roth“

Zunächst seien die Universitäten und Hochschulen aufgerufen, derartige Anliegen nicht intransparent und im Sinne dessen, was im internationalen Fachbetrieb als „kangaroo court“ bezeichnet wird (etwa: Scheintribunal), gleichsam hinter verschlossenen Türen intern zu verarbeiten. Und zwar mit dem expliziten Ziel, so meine vormaligen Kollegen an einem US-Ivy League College, um eben den Gang zur öffentlichen Gerichtsbarkeit und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu vermeiden.

In einem funktionierenden Rechtsstaat sollte es kein Problem sein, im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens eine faire Gegenüberstellung von Anklage und Beschuldigtem zu gewährleisten. Geschieht dies nicht – wie meines Erachtens in dieser Angelegenheit der Fall ist, handelt es sich um wenig mehr als Willkür.

Anonyme Beschwerden, die von Personalvorgesetzten nahezu wortgleich und ohne Evidenz mit der Androhung „weiterer arbeitsrechtliche[r] Konsequenzen“ verbunden sind, fallen in der „normalen“ Gerichtsbarkeit wohl eher unter „Hörensagen“ oder – Mobbing und Verleumdung.

Gerade im Angesicht der Erkenntnis des Bundesverwaltungserichtshofes betreffend die Unverhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen bleibt beim Lesen von Günter Roths Stellungnahme ein mehr als schaler Nachgeschmack zurück.

Seit mehr als 20 Jahren sind die meisten Universitäten und Hochschulen „autonom“ von den jeweiligen Ministerien. Dies bietet zwar gewisse Vorteile, doch ist dem auch die Verantwortungslosigkeit der Hochschulleitungen gegenüber parlamentarischen oder anderen Kontrollinstanzen entgegenzuhalten. Dies soll keineswegs bedeuten, dass „früher“ vieles „besser“ war, doch immerhin konnte man als Parlamentarier dem ressortverantwortlichen Minister in diesen oder ähnlich gelagerten Fällen eine entsprechende Erklärung abverlangen.

So aber bleibt Günter Roth nur der Gang zum Arbeitsgericht.

Dort wird aber nicht nur die „Causa Roth“ verhandelt, sondern es steht viel mehr auf dem Spiel.

Hier gefunden: https://tkp.at/2022/12/01/hexenjagd-auf-kritischen-professor-arbeitsrecht-meinungsfreiheit-und-rechtstaat-auf-dem-pruefstand/