„Aus einer pazifistischen Partei der Petra Kelly und des Gerd Bastian hat sich eine Kriegspartei entwickelt, die unter einer widerlichen Doppelmoral mit „Argumenten“ zur angeblichen Menschenrechts-Verteidigung sich für Kriege und Interventionen intensiv engagiert.“ Das sagt Reiner Braun im Interview mit den NachDenkSeiten.
Braun, einer der führenden Köpfe in der Friedensbewegung, findet klare Worte zum Krieg in der Ukraine und rechnet dabei mit den Grünen ab. Er warnt außerdem vor der aktuellen Politik, die „auch ein Spiel mit dem atomaren Feuer und dementsprechend ungeheuer gefährlich“ sei. Braun fordert den Schritt raus aus der Kriegslogik, hin zur Friedenslogik.
Von Marcus Klöckner auf den NachDenkSeiten
Gerade hat Russland die Teilmobilisierung seiner Streitkräfte beschlossen. Was sagt Ihnen das als jemand, der in der Friedensbewegung verwurzelt ist?
Die Teilmobilisierung ist Teil einer Kriegsdynamik, die den Krieg zwischen Russland und der Ukraine/NATO prägt. Sie beinhaltet die Gefahr einer weiteren Dynamisierung des Krieges, ein militaristischer Schritt der einen Seite zieht einen kriegerischen, den Konflikt erweiternden Schritt der anderen Seite nach sich. Diese Eskalationsdynamik endet – wenn wir das Szenario bis zum vernichtenden Ende denken – in einem Atomkrieg, der dann für alle das Ende ist. Putins Äußerungen sind geradezu dramatisch. Dieses alles ist die Logik dieser Kriegsdynamik. Selbst wenn es nicht zum Schrecklichsten kommt, beinhaltet diese Dynamik des Krieges wachsendes Leid, Tote und Verwundete, weitere Zerstörung und immer noch zunehmenden Hass. Mit jedem dieser Schritte wird eine Hinwendung zu Verhandlungen und Dialog immer schwieriger, rückt immer weiter in die Ferne. Dass dieses alles Unsummen an Geld kostet, sei nur nebenbei erwähnt.
Im Oktober sollen mehrere Friedensdemos in großen Städten in Deutschland stattfinden. Reichlich spät, oder?
Es sind nicht die ersten Aktionen der Friedensbewegung, sofort nach Beginn gab es Proteste auf der Straße, die Ostermärsche waren von der Ablehnung des völkerrechtswidrigen Krieges und besonders der wahnwitzigen Hochrüstungspläne der Bundesregierung geprägt. Auch die großen Aktionen der Gewerkschaften und Kirchen, bei aller politischer Ambivalenz, drückten bei vielen der hunderttausenden Teilnehmern einen deutlichen Friedenswillen aus. Nein, die Friedensbewegung hat im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten – und fast ist man schon geneigt zu sagen natürlich: unter Ignoranz der sogenannten Qualitätsmedien – auf diesen Krieg aktiv reagiert. Dass dies nicht genug war und ist, zeigt nur die aktuelle, nicht wegzudiskutierende Schwäche der Friedensbewegung, aber auch die teilweise lähmenden Kontroversen in ihr.
Warum gibt es nicht seit Monaten große Friedensdemos?
Es hat wohl selten eine so komplizierte friedenspolitische Situation in den letzten 40 Jahren gegeben wie nach dem Angriff Russlands. Persönlich habe ich ihn – und ich glaube, da stehe ich nicht allein – bis zum 24.2. nicht für möglich gehalten. Diese Fehleinschätzung der Politik der russischen Regierung muss man erst einmal verarbeiten und die einzig mögliche friedenspolitische Konsequenz ziehen – eine klare Verurteilung, ohne die Entwicklung hin zu diesem Krieg, die ganz entscheidend mit der NATO-Politik und der NATO-Osterweiterung zu tun hat, zu vergessen oder zu ignorieren.
Es ist aber auch richtig, Nein zu den Waffenlieferungen zu sagen, besonders weil diese nur den Krieg verlängern und intensivieren. Wir müssen raus aus der Kriegslogik, hin zur Friedenslogik. Dazu gehört auch die kontroverse Diskussion um Sanktionen, die ich eigentlich im Kern als Wirtschaftskrieg bezeichnen möchte. Es geht nicht um ein paar Oligarchen oder die Umgebung von Putin, es geht um die Ausschaltung eines ökonomischen und geostrategischen Konkurrenten im Ringen um eine neue Weltordnung – indirekt soll auch China davon betroffen werden, der zweite große Rivale der westlichen Hegemonial-Politik.
Diese schwierige Situation nach dem 24. Februar ist lähmend – teilweise für die Friedensbewegung, aber besonders für viele in der Bevölkerung, die betroffen und ablehnend einem Angriffskrieg gegenübersteht und die teilweise tief verunsichert ist, wie darauf reagieren, und deshalb natürlich nicht aktiv im Sinne einer Friedenslogik ist. Die Kriegshetze und das Kriegstrommeln – leider kann ich es nicht anders bezeichnen – eines Großteils der Politik und besonders der Medien beeinflussen das Fühlen, Denken und Handeln eines großen Teils der Bevölkerung nicht im Sinne des Friedens. Umso erfreulicher sind die Umfragen, die besagen, dass über 60 Prozent die Lieferung schwerer Waffen ablehnen und weit über 70 Prozent sich für Verhandlungen aussprechen. Wir haben sicher keine Kriegsbegeisterung, aber auch keine Friedensstimmung und erst recht kein massives Friedensengagement.
Nicht vergessen sollten wir die Proteste, die zunehmend besonders im Osten an vielen Orten als wirklich große Demonstrationen gegen die sozialen Konsequenzen des Krieges stattfinden. Immer öfter sind Friedensfahnen zu sehen und in den Redebeiträgen wird der Krieg und die Hochrüstung als eine Ursache für die soziale Ausplünderung genannt. Ein hoffungsvolles Zeichen. Vielleicht ein Erwachen?
Für Deutschland war es seit dem 2. Weltkrieg für Jahrzehnte ein Unding, sich mit Waffen in Konflikte einzumischen. Dann kam der Krieg in Jugoslawien und die Grenzen wurden immer weiter verschoben. Nun reden wir von Kampfpanzern gegen Russland. Wie erklären Sie sich das?
Die Bundesregierung will eine noch aktivere Rolle im Konzert der Großen dieser Welt spielen, Deutschland soll wieder eine der führenden Mächte der Welt werden, besonders in Europa, aber auch weit darüber hinaus. Die Ökonomie unseres Landes (Exportabhängigkeit) und Profitinteressen sind der Treiber. Der Kampf um geopolitischen Einfluss ist die logische Folge. In der Logik dieser Politik sind Militär und Militarisierung entscheidende Faktoren der Macht und des globalen Einflusses zur Sicherung der „deutschen (Profit-)Interessen. Deshalb haben wir schon seit Jahren eine umfassende Aufrüstung, deshalb sind wir bei mindestens 13 aktuellen Interventionskriegen dabei und nutzen den Ukraine-Krieg zur weiteren – man muss schon sagen – dramatischen Aufrüstung und Militarisierung der Politik.
Im Kampf um eine neue Weltordnung, die nach den Vorstellungen unserer Politiker eine westlich geprägte sein soll, spielen Krieg und Militär eine zentrale Rolle, um aufkommende und bestehende Konkurrenten im „Griff zu behalten“. Diese Politik – ökonomisch abgesichert durch Sanktionen – richtet sich in erster Linie gegen Russland und China, aber auch gegen weitere, die westlichen Profitinteressen gefährdende Mächte in Asien (Indien) und Lateinamerika. Meiner Meinung nach wird diese Auseinandersetzung vom Westen/NATO entweder verloren werden, da wir es mit geradezu gigantischen Verschiebungen der weltpolitischen Kräfteverhältnisse weg von den alten Kolonialmächten plus USA erleben zugunsten neuer politischer Kraftzentren (China, aber auch BRICS), oder endet im atomaren Holocaust. Diese Politik ist daher auch ein Spiel mit dem atomaren Feuer (das von allen Seiten letztendlich eingesetzt werden kann) und dementsprechend ungeheuer gefährlich.
Friedenspolitik kann demgegenüber nur eine „Politik der gemeinsamen Sicherheit“ sein, die Anerkennung nicht nur meiner, sondern auch der Sicherheitsinteressen der Anderen. Davon sind wir zurzeit meilenweit entfernt.
Welche Rolle spielen bei dieser Entwicklung die Grünen?
Die Grünen sind die kriegstreibende Partei in einer insgesamt auf Konfrontation orientierten Bundesregierung (positive wenige Mitglieder, die sich nach wie vor in der Friedensbewegung engagieren oder sich publizistisch artikulieren, ausgenommen). Aus einer pazifistischen Partei der Petra Kelly und des Gerd Bastian hat sich eine Kriegspartei entwickelt, die unter einer widerlichen Doppelmoral mit „Argumenten“ zur angeblichen Menschenrechts-Verteidigung sich für Kriege und Interventionen intensiv engagiert. Für sie trifft der Begriff „Menschenrechts-Imperialismus“ wirklich zu.
Die Grünen widerspiegeln die Entwicklung eines Teils des Bürgertums und der Mittelschichten von einem linksliberalen, friedensorientierten, ökologischen Engagement zu libertären Positionen des Großmachtchauvinismus und der kapitalistischen ökologischen Modernisierung. Statt mitzuhelfen, diesen Planeten zu retten, treiben sie Millionen Menschen in die Verarmung und möglicherweise den Planeten zum Untergang.
Was ist Ihr Eindruck: Will die deutsche Bevölkerung Krieg mit Russland?
Nein, alle Umfragen bestätigen, dass trotz Diffamierungen, Unterstellungen, Halbwahrheiten und Verkürzungen, aber auch bei aller berechtigten Kritik an der Politik des russischen Präsidenten die Mehrheit der deutschen Bevölkerung friedliche, kooperative Beziehungen zu Russland will. Weder die Rolle Gorbatschows bei der Entspannungspolitik und seine Abrüstungsinitiativen noch die Rolle der Sowjetunion bei der Wiedervereinigung sind vergessen. Viele Deutsche besonders im Osten wissen die 27 Millionen toten BürgerInnen und SoldatInnen der Sowjetunion zu würdigen, die ihre Leben für die Befreiung Deutschlands opferten.
Umso unverständlicher und kontraproduktiv ist der Versuch der Bundesregierung, auch alle zwischenmenschlichen, wissenschaftlichen, persönlichen und regionalen Beziehungen mit Russland zu beenden. Was würde Albert Einstein sagen, wenn er erführe, dass die Max-Planck-Gesellschaft und der DAAD in unterwürfigem Gehorsam die wissenschaftliche Kooperation mit Russland beendet hat?
Mehr Beziehungen zwischen den Menschen, Diplomatie von unten ist gerade jetzt notwendig. Dies gilt auch und besonders für die Städtepartnerschaften und alle Formen kooperativer Beziehungen. Gerade jetzt sollten wir – so kompliziert es auch ist – nach Moskau oder Petersburg fahren.
Für die Friedensbewegung stand es lange außer Frage, Kriegstreiber als Kriegstreiber zu bezeichnen. Ist dem heute noch so?
Ich wäre da etwas vorsichtiger: Die Ursachen von Kriegen und die Verantwortlichen bzw. die gesellschaftlichen Strukturen zu benennen, sind schon immer in der Friedensbewegung unterschiedlich, teilweise auch kontrovers beantwortet worden. Die Friedensbewegung ist eine breite gesellschaftliche Bewegung, die wertkonservative genauso einschließt wie linke, sich antiimperialistisch verstehende politische Kräfte und viele mehr (Kirchen, Gewerkschaften). Sie eint – wenn sie zusammen aktiv sind – das Nein zu Krieg und das Eintreten für Frieden. Damit stehen die politischen Kräfte – die Friedensbewegung – im tiefen Gegensatz zu den kriegsbefürwortenden politischen Eliten.
Die Ursache oder die Verantwortlichen werden ganz natürlich von einer Pazifistin anders gesehen als von einem marxistischen Linken, von Feministinnen anders als von Christen. Das ist auch gut so und muss ausgehalten werden. Losgelöst davon richten sich unsere Forderungen an die politischen Verantwortlichen international und besonders an die eigene Regierung und das ist für uns immer erst einmal die Bundesregierung. Da steht die Friedensbewegung in der Logik von Karl Liebknecht, dass der Feind zuerst im eigenen Land steht.
Deshalb fordern wir jetzt Waffenstillstand und Verhandlungen und von der Bundesregierung besonders, Abstand zu nehmen von der wahnwitzigen Hochrüstung und für Abrüstung einzutreten. So wird auch die Rolle Russlands, aber auch der NATO unterschiedlich bewertet. Dieses darf aber gemeinsamen Aktionen gegen die Kriegs- und für die Friedenslogik keinen Abbruch tun.
Nochmal zu den Demonstrationen. Wo und wann finden diese statt?
Die Friedensbewegung veranstaltet am 1.10. einen dezentralen bundesweiten Aktionstag gegen Krieg und Hochrüstung. In dem Aufruf des Bundesauschusses Friedensratschlag und der Kooperation für den Frieden, der breit unterstützt wird, heißt es, „die friedenspolitischen Netzwerke „Kooperation für den Frieden“ und der „Bundesausschuss Friedensratschlag“ rufen für den 1. Oktober 2022 zu einem bundesweiten Aktionstag auf. Unter dem Motto „Keinen Euro für Krieg und Zerstörung! Stattdessen Milliarden für eine soziale, gerechte und ökologische Friedenspolitik! Stoppt den Krieg! Verhandeln statt Schießen!“ verlangen sie, anlässlich der anstehenden Haushaltsdebatte im Bundestag, Abrüstung statt Aufrüstung und die Abkehr von jeglicher kriegerischer Eskalation.“
An dem Tag finden – hoffentlich größere – Demonstrationen u.a. in Berlin, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Köln, aber auch viele weitere regionale und lokale Aktionen statt.
Wir wenden uns gegen die Hochrüstung, das 100-Milliarden-Schuldenpaket und die 2 Prozent für die Rüstung und fordern dieses Geld für Soziales und Umwelt. Der Krieg in der Ukraine muss durch Waffenstillstand und Verhandlungen beendet werden. Wir fordern Friedenslogik statt Kriegsdynamik.
Ziel ist es, mit beizutragen, ein gesellschaftliches Klima zu erreichen, in dem durch Druck der Bevölkerung auch unsere Regierung veranlasst wird, Diplomatie statt Panzer und Waffen in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen. Wir müssen uns engagieren, jetzt und heute – gerade wenn es kompliziert und schwierig ist, um eine soziale und friedenspolitische Katastrophe abzuwehren. Ich wende mich direkt an die Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten: Kommt bitte auch Ihr zu den Friedensaktionen, Jede und Jeder ist notwendig, um eine Umkehr zu erzwingen!
Handelt es sich bei dem Krieg in der Ukraine auch um einen Stellvertreterkrieg?
Ja, auch. In dem Ukraine-Konflikt fließen verschiedene Konfliktszenarien zusammen. Es ist ein Konflikt zwischen NATO und Russland, bei dem die NATO versucht, sich noch weiter nach Osten auszudehnen und den Einfluss Russlands zu minimieren. Militärisch rückt die NATO mit dem Einfluss in der Ukraine nahe an die Herzregionen Russlands heran. Die Flugzeiten der Raketen und Atomwaffen verkürzen sich für Russland auf ganz wenige Minuten. Die Ukraine unter NATO-Kontrolle ist mit den Sicherheitsinteressen Russlands nicht vereinbar. Es wäre wie russische Raketen in Mexiko, Kanada oder Kuba. In diesem Sinne ist es auch ein geostrategischer Konflikt im Ringen um eine neue multipolare Weltordnung und ihre Hegemonialstruktur. Es ist ein Ressourcenkonflikt um Dominanz in einem Land – reich an wunderbarem Boden, vielfältigen Rohstoffen und gut ausgebildeten Menschen.
Dieser Krieg ist – verbunden damit – auch ein Konflikt um die Hegemonie in Eurasien, zentralen Einfluss in der Ukraine als Brückenland, stärkt auch die Position in Asien als in Zukunft entscheidender ökonomischer und politischer Kontinent. Brzezinski hat dies in seinem Buch „Das große Schachspiel“ eindrucksvoll und nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht. Der amerikanische Originaltitel drückt die Interessen der Westens viel besser aus: „American Primacy and Its Geostrategic Imperatives“. Deshalb könnte eine neutrale Ukraine als Brückenbilder zwischen Asien und Europa auch eine zentrale verbindende, kooperative Rolle spielen.
Es ist aber auch ein Bürgerkrieg zwischen den nach Westen und zur NATO strebenden Kräften in der Ukraine und dem traditionell mit Russland verbundenen Osten der Ukraine. Es ist also auch einer der vielen post-sowjetischen Konflikte, siehe Aserbaidschan/Armenien, aber auch Kirgisien/Tadschikistan, Georgien etc. Letztendlich ist es auch noch ein Konflikt zwischen verschiedenen Oligarchengruppen um Macht, Ressourcen und Einfluss.
Diese vielfältigen und miteinander verwobenen Konfliktdimensionen machen die Lösung des Krieges nicht einfacher und sehr komplex. Trotzdem liegen Friedenspläne dafür vor. Erwähnen möchte ich hier nur den Vorschlag aus dem Vatikan, der von einer Arbeitsgruppe unter Jeffrey Sachs erarbeitet wurde.
Gibt es Alternativen zu Krieg und Konfrontation?
Der Satz, es gibt keine Alternative, war schon immer und ist auch in der jetzigen Situation der Kriege und Konfrontation eine Lüge. Die grundsätzliche Alternative ist die „Politik der gemeinsamen Sicherheit“, die Ideen und Gestaltungen von Willy Brandt, Olof Palme, aber auch Michail Gorbatschow und Bruno Kreisky.
Jetzt und sofort heißt es, alles zu tun, ein Klima für Diplomatie gesellschaftlich mehrheitsfähig zu machen. Waffenstillstand und Verhandlungen müssen die wesentlichen Instrumente von Politik werden und nicht das Geschrei nach immer mehr Waffen und kriegerischer Eskalation.
Pläne für mehr Diplomatie und Verhandlungen sind vorhanden: Meine Vorschläge berücksichtigen verschiedene Konzepte auf bilateraler, multilateraler, wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene.
Was ist Ihr Eindruck: Versteht die Bevölkerung Deutschlands, wie groß die Gefahr eines Krieges ist, der auch auf Deutschland übergreifen kann?
Viele ahnen oder spüren es. Die Stimmung, es läuft falsch, ist weit verbreitet. Millionen müssen sich mit den sozialen Konsequenzen des Wirtschaftskrieges täglich leidvoll auseinandersetzen und wissen schon jetzt oft nicht, wie das Ende des Monats gestaltet werden soll. Die Bevölkerung spürt den Ernst der Lage – ohne schon Verantwortliche zu benennen und diese zur Verantwortung zu ziehen. Dieser soziale Tsunami wird meiner Meinung nach noch große Auswirkungen auf das Bewusstsein und die Aktionsbereitschaft der Bevölkerung haben.
Mehr Proteste und Widerstand sind erkennbar, aber noch lange nicht genug. Die Erkenntnis, dass Hochrüstung und sozialer Tsunami zwei Seiten einer Medaille sind, ist kaum verbreitet. Hier haben die Friedensbewegung, aber auch andere soziale Bewegungen eine große Verantwortung. Auch um zu warnen vor den rechten Rattenfängern, die glauben, die Krise auf ihre nationalistischen und chauvinistischen Mühlen lenken zu können. Der Protest muss gewerkschaftlich, friedensbewegt und links sein und von dort initiiert werden. Hier fehlt noch vieles. Nicht der Mitläufer ist das Problem, das verstärkte aktive und aktionsorientierte linke aktive Engagement ist gefordert.
Die Friedensbewegung steht vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten, gelingt es aufzuklären, zu informieren und zu mehr Aktionen zu kommen. Wächst die Erkenntnis, dass wir wirklich 100 Sekunden von 12 Uhr stehen, wie die Atomwissenschaftler der Atomuhr dokumentieren. Atomkrieg oder gemeinsame Sicherheit sowie Abrüstung für eine grundlegende soziale und ökologische Transformation – wohl selten stand die Alternative so zugespitzt. Der 1. Oktober ist erst der Anfang! Herbst und Winter sind noch lang.
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Reiner Braun, geboren 1952, studierte Deutsche Literatur, Geschichte und Journalismus. Er war aktiv am „Krefelder Appell“ der Friedensbewegung in den 80er Jahren beteiligt. Braun war langjähriger Geschäftsführer der „NaturwissenschaftlerInnen-Initiatve – Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ und ist Geschäftsführer der IALANA sowie Co-Präsident des International Peace Bureau.