Ende August wurde bekannt, dass Vertraute von Wirtschaftsminister Robert Habeck den deutschen Inlandsgeheimdienst auf zwei altgediente, ranghohe Mitarbeiter im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) angesetzt hatten. Begründung? Deren Fachmeinungen wären „meilenweit“ von der politischen Linie des Ministers abgewichen.
Ein einmaliger Vorgang, der jetzt weitere Kreise zieht. Denn wie ein internes Protokoll offenlegt, herrscht seitdem ein Klima der Angst und Verunsicherung im Ministerium. Doch damit nicht genug. Innerhalb der von Habeck berufenen Staatsekretäre und dem weiteren Umfeld gibt es enge familiäre Bande (man spricht sogar von Clanstrukturen), die man nicht anders denn als „Vetternwirtschaft“ beschreiben kann.
Von Florian Warweg auf den NachDenkSeiten
„Habeck steht jetzt unter Druck“, räumt laut internem Protokoll, welches dem Handelsblatt vorliegt, sein engster Mitarbeiter, der Energie-Staatssekretär Patrick Graichen, bei einer Krisensitzung am 2. September 2022 ein. Dieses Protokoll hat es in sich. Es zeichnet ein Bild von Angst, Frust und Verunsicherung innerhalb der Leitungsspitze des Ministeriums sowie begleitet von Zweifeln an der Integrität des Ministers im Umgang mit seinen Mitarbeitern.
Während Habecks Vertrauter Graichen abwiegelt und erklärt, er hätte „volles Vertrauen“ zu allen Beamten und sehe keinen negativen Folgen durch die angeordnete geheimdienstliche Untersuchung zweier leitender Mitarbeiter in der Abteilung „Wärme“, (zuständig für alle Bereiche rund um das Thema Gas), widersprechen ihm mehrere Teilnehmer der Krisensitzung. Diese erklären übereinstimmend, es herrsche ein Klima „starker Verunsicherung“.
So zitiert das Protokoll beispielsweise einen Beamten der betroffenen Abteilung mit den Worten:
„Wenn ich meine Fachmeinung kundtue, dann besteht die Möglichkeit, dass ich in den Verdacht gerate, ‚Russenversteher‘ zu werden.“
Ein weiterer Teilnehmer verweist in der Krisensitzung auf den bereits spürbaren Schaden in der Außenwahrnehmung:
„Wir bekommen auch von außen viele Anrufe – zum Beispiel Anfragen vom Bundesfinanzministerium – hier gibt es Zweifel, ob man noch mit uns zusammenarbeiten kann.“
Es reiche mittlerweile offenbar eine fundierte abweichende Einschätzung der Lage aus, damit die Hausspitze den Verfassungsschutz einschalte, lautet dem Handelsblatt zufolge eine weitere, in diesem Zusammenhang geäußerte Sorge im Ministerium.
#Habeck setzt #Verfassungsschutz auf eigene ranghohe Beamte an. Jetzt rumort es gewaltig @BMWK wie ein internes Protokoll belegt. Klima der Angst:
— Florian Warweg (@FWarweg) September 19, 2022
"Wenn ich meine Fachmeinung kundtue, dann besteht die Möglichkeit, dass ich in den Verdacht gerate, ‚Russenversteher‘ zu werden." pic.twitter.com/6fN7AfKUGa
Bezeichnenderweise wird ausgerechnet dieser Aspekt der Unruhe unter den Mitarbeitern bei der Krisensitzung von den Habeck-Vertrauten nicht ausgeräumt oder dementiert. So erklärt Energie-Staatssekretär Graichen dem Protokoll zufolge, das Wirtschaftsministerium habe „jahrelang russlandfreundliche Politik gemacht“. Damit sei es nun vorbei. Dies hätte sich, nachdem die Grünen nun das Ruder in der Hand hielten, „grundlegend geändert“. Eine Aussage, die in dieser Form wohl kaum dazu angetan ist, die geäußerten Sorgen und Verunsicherungen der Ministerialbeamten zu vertreiben, im Gegenteil.
Neben Graichen nimmt noch ein weiterer Habeck-Vertrauter an dem Krisentreffen teil, der Leiter der Abteilung „Wärme“, Christian Maaß. Dieser wurde von Habeck erst Anfang 2022 in das Ministerium geholt. Zuvor war Maaß in führender Position bei der Grün-Alternativen Liste (GAL) in Hamburg und als Geschäftsführer des Consulting- und Lobbyunternehmens für Energiewende, dem „Hamburg Institut“, tätig. Maaß erklärt bei der Sitzung laut Protokoll, dass „jeder einzelne“ seine komplette Rückendeckung habe. Mehrere Beamte sollen sich gegen diesen Beschwichtigungsversuch verwahrt haben.
Denn allen in der Krisen-Runde war bekannt, dass nach aktuellem Wissensstand es just Habecks Vertraute Maaß und Graichen waren, die sich im Frühjahr an den Verfassungsschutz mit der Bitte um „Amtshilfe“ wandten. Und es war wie bereits erwähnt genau die Abteilung „Wärme“, in der die zwei leitenden Beamten arbeiten, auf die Habecks Leute den deutschen Inlandsgeheimdienst wegen eines angeblichen „Spionageverdachts“ ansetzten. Der Verdacht beruhte, daran sei nochmals erinnert, vor allem darauf, dass, wie die ZEIT als Erster berichtet hatte, viele der erstellten Unterlagen „nur so von Verständnis für die russische Sicht getrieft hätten“. Zudem habe deren Argumentation oftmals nicht „zur offiziellen Linie der Bundesregierung“ gepasst.
Gefunden hatte der Verfassungsschutz nach umfassender Untersuchung (z.B. Analyse der privaten Freundschaften und Flugreisen der letzten Jahre) übrigens nichts, außer einen Auslandsaufenthalt in Russland in Jugendjahren bei einem der Beamten sowie eine wie auch immer definierte „emotionale Nähe zu Russland“.
Man will sich gar nicht ausmalen, welche Arbeit dem Verfassungsschutz droht, würde man diese Prämissen auf Ministeriumsmitarbeiter mit „emotionaler Nähe“ und Studienaufenthalten in den USA anwenden.
Aus dem Protokoll geht ebenfalls hervor, dass die beiden betroffenen Beamten vor der Machtübernahme durch die Grünen hausintern als „hochkompetent und loyal“ galten.
Die Tatsache, dass der Minister den Geheimdienst auf die eigenen Mitarbeiter angesetzt hat, sorgt laut Handelsblatt abteilungsübergreifend für Irritation und Unmut:
„Selbst altgedienten Ministerialen ist kein Vorgang bekannt, dass ein Wirtschaftsminister die Dienste auf seine eigenen Leute ansetzen ließ.“
Dabei scheint der vorliegende Fall nur die Spitze des Eisberges zu sein. Denn eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums erklärte auf Pressenachfragen, dass sie sich zu dem konkreten Fall nicht äußern werde, führte dann aber unverhohlen aus:
„Das Ministerium steht seit Beginn (!) der Legislaturperiode in einem engen Austausch mit dem Bundesverfassungsschutz. Denn es ist klar, dass sich die Arbeit des Ministeriums in einem besonderen Fokus befindet. Allen sicherheitsrelevanten Hinweisen gehen wir immer (!) in enger Abstimmung mit dem Bundesverfassungsschutz nach und setzen etwaige notwendige Schritte ebenfalls in Abstimmung mit dem Verfassungsschutz unverzüglich (!) um.”
Diese Aussage lässt tief blicken. Zum einen fing die Legislaturperiode weit vor dem 24. Februar 2022 an, zum anderen impliziert die Aussage auch, dass es vor der Übernahme von Robert Habeck diese Art des „engen Austauschs“ zwischen Wirtschaftsministerium und Inlandsgeheimdienst so nicht gegeben hat. Die Sprecherin betonte zudem noch, dass „die strategischen Entscheidungen“ jetzt in den Händen der Staatssekretäre und des Ministers konzentriert werden. In Folge also mehr Hierarchie und weit weniger Entscheidungsfreiheit für die Ministerialbeamten unter Leitung der Grünen als unter dem vorherigen CDU-Minister.
Apropos, es waren unter anderem die Grünen, die, nicht immer zu Unrecht, der CDU/CSU oft „Vetternwirtschaft“ in den Ministerien vorgeworfen hatten. Doch kaum selbst an der Macht, offenbart sich eine Grüne-Clanstruktur, in der Familienbande mehr zu zählen scheinen als Fachkompetenz.
Schwäger- statt Vetternwirtschaft?
Ein besonders exemplarisches Beispiel ist, wie die taz aufzeigt, auch hier das von Habeck geführte Wirtschaftsministerium. Der beamtete Staatssekretär für Energiefragen im Wirtschaftsministerium ist der dem Leser schon bekannte Patrick Graichen, ehemaliger Chef der Grünen-nahen Lobbygruppe „Agora Energiewende“. Dessen Schwester Verena Graichen arbeitet wiederum als „Senior Researcher“ beim Öko-Institut zu den Themen Klimapolitik und Emissionshandel und ist gleichzeitig Vorsitzende des Umweltverbands BUND in Berlin. Verheiratet ist sie mit Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im gleichen Ministerium wie Graichen. Die zwei wichtigsten Staatssekretäre und Habeck-Vertrauten sind also Schwäger. Doch damit nicht genug. Jakob Graichen, der Bruder des Energiestaatssekretärs, arbeitet als „Senior Researcher“ zu Klima- und Energiefragen beim, dreimal darf der geneigte Leser raten, Öko-Institut. Seite an Seite mit seiner Schwester, der Ehefrau und Schwester der zwei zentralen Staatssekretäre im Ministerium für Wirtschaft und Klima.
Schön auch der Passus auf Wikipedia über Michael Kellner zu diesem Thema:
„Die auffällige familiäre Verbindung in der Ministeriumsführung wurde als „Kellner/Graichen-Clan“ kritisiert. Vorwürfe der Vetternwirtschaft wies Kellner jedoch zurück.“
Ähnlich äußert sich auch das Ministerium. Es sei „selbstverständlich“ sichergestellt, dass trotz dieser Familienverbindungen auf Leitungsebene „keine Interessenkonflikte bei der Vergabe von Studien oder Aufträgen entstehen“. Die „hierfür notwendigen Schritte und Strukturen“ würden „rechtssicher eingerichtet und umgesetzt“.
Und für den Fall, dass doch jemand von dieser „Argumentationslinie“ abweichen sollte, hat man ja schon vorausschauend die entsprechenden Kontakte bei den „Diensten“ etabliert …
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