Omikron-Entdeckerin: „Ich sollte nicht öffentlich über milderen Verlauf sprechen“

Angelique Coetzee war die Medizinerin, die auf die Omikron-Variante des Coronavirus stieß, erste Patienten behandelte – und Entwarnung gab. Aber in Europa habe das niemand hören wollen, sie sei von Regierungen unter Druck gesetzt worden. In dem hier dokumentuierten Exklusiv-Interview in der Zeitung WELT spricht sie über ihre Erfahrungen.

WELT: Es heißt, Sie wurden angehalten, Omikron als genauso schwerwiegend darzustellen wie die vorherigen Varianten. Stimmt das?

Angelique Coetzee: Mir wurde gesagt, ich solle öffentlich nicht erklären, dass es eine milde Erkrankung sei. Ich wurde gebeten, von derartigen Äußerungen Abstand zu nehmen und zu sagen, es sei eine ernste Erkrankung. Das habe ich abgelehnt.

WELT: Was bedeutet das?

Coetzee: Ich bin Klinikerin und dem Krankheitsbild zufolge bestehen keine Anzeichen dafür, dass wir es mit einer sehr ernsten Erkrankung zu tun haben. Der Verlauf ist überwiegend mild. Ich sage nicht, dass man bei einem milden Verlauf nicht krank wird. Die Definition einer milden Covid-19-Erkrankung ist eindeutig, und das ist eine WHO-Definition: Patienten können zu Hause behandelt werden, und eine Versorgung mit Sauerstoff oder Hospitalisierung ist nicht erforderlich. Eine schwere Erkrankung ist eine, in deren Verlauf wir akute Lungen-Atemwegsinfektionen sehen: Die Menschen brauchen Sauerstoff, vielleicht sogar eine künstliche Beatmung. Das haben wir bei Delta gesehen – aber nicht bei Omikron. Ich habe den Leuten also gesagt: „Ich kann das so nicht sagen, denn es ist nicht das, was wir sehen.“

WELT: Aus welchem Grund hat man verhindert, dass Sie die Wahrheit sagen?

Coetzee: Sie haben es versucht, aber sie haben es nicht geschafft. Was ich irgendwann einmal gesagt habe – weil ich es einfach leid war –, war: In Südafrika sei dies eine milde Erkrankung, aber in Europa sei es eine sehr ernste. Das war es ja, was Ihre Politiker hören wollten.

WELT: Woher kam dieser Druck?

Coetzee: Es ist doch nur eines wichtig: Ich habe mich geweigert. Man wird mich nicht zum Schweigen bringen. Ich hatte recht. Hätte ich unrecht, würde ich um Verzeihung bitten.

WELT: Kam der Druck von westlichen Regierungen oder südafrikanischen Behörden?

Coetzee: Nicht von südafrikanischen Behörden.

WELT: Also von Staaten der westlichen Welt?

Coetzee: Ich beteilige mich nicht an politischen Kämpfen. Aber ja, von einigen Ihrer (der europäischen, Anm. d. Red) Länder wurde ich kritisiert. In den Niederlanden, in Großbritannien fragten Wissenschaftler: „Wie können Sie erklären, dass es eine milde Erkrankung ist? Es ist eine schwere Erkrankung. Schauen Sie sich die Mutationen an.“ Meine Berichte haben sie aus der Spur gebracht. Dabei muss man sich in einer Pandemie nun mal auch ansehen, was an der Basis passiert. Bei den Hausärzten, die täglich Erkrankte behandeln, muss nachgefragt werden, was sie erleben, wie sich das Krankheitsbild darstellt.

WELT: Die Politik trifft also Entscheidungen, ohne auf die Mediziner zu hören, die an der Basis arbeiten?

Coetzee: Wie viele Ärzte, die wirklich nah an den Patienten dran sind, wurden bei Ihnen nach ihrer Meinung gefragt? Immer zählt die Meinung des Wissenschaftlers oder der Professorin, die nie mit einem Patienten in Berührung kommen. Niemand fragt, was an der Basis passiert.

WELT: Haben wir im Blick auf die Balance zwischen Gesundheitsschutz und Schutz der Wirtschaft falsche Entscheidungen getroffen?

Coetzee: Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir vieles falsch gemacht haben. Es gibt viel Not da draußen. Es gibt viele Vorschriften, die keinen Sinn ergeben.

WELT: Besteht Hoffnung, dass wir unsere Lektion lernen?

Coetzee: Wir sind dabei, zu lernen, aber wir sind keine schnellen Lernenden. Wir lernen langsam. Es hängt alles von der politischen Lage ab und davon, wie einige innerhalb der Wissenschaft ihre eigene Agenda voranbringen wollen.

WELT: Einige Wissenschaftler hätten nicht das Gemeinwohl im Sinn, sondern sich selbst – das ist eine gravierende Aussage. Glauben Sie das wirklich?

Coetzee: Ja, ich denke schon. Man muss sichergehen, dass sämtliche Wissenschaftler erklären, ob sie Verbindungen zu Pharmaunternehmen haben und ob sie finanziell belohnt werden, wenn sie bestimmte Produkte fördern. Man muss wissen, welche Interessen sie verfolgen. Dem Ziel, dass die Gesundheit der Bevölkerung an erster Stelle steht, muss alles untergeordnet werden.

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