Ärzteblatt:Genesene offenbar gut und lang anhaltend geschützt

Wer eine Infektion mit SARS-CoV-2 überstanden hat, kann erneute Attacken des Virus erstaunlich effektiv abwenden. Dies gilt auch für den Fall, dass der Verlauf nur milde oder sogar asymptomatisch war. Das Potenzial der Genesenen könnte sich zudem als Joker der Impfstrategie erweisen.

Die Frage, wie gut und nachhaltig eine durchgemachte COVID-19-Erkrankung vor einer Reinfektion schützt, war lange nicht so umfangreich untersucht wie die zur Effektivität der Impfstoffe. Dieses Manko beklagte zuletzt das bisher jüngste Update der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA vom 29. Oktober 2021 (1). Jedoch sind gerade in den letzten Wochen und Monaten mehrere wissenschaftliche Studien erschienen, denen zufolge Genesene nicht nur mindestens ebenso wirksam vor Reinfektionen geschützt sind wie ausreichend geimpfte oder geboosterte Personen. Der Schutz soll überdies deutlich länger anhalten: je nach Studie, die man konsultiert, wird die Frist auf 8–10 oder sogar 13 Monate beziffert (2, 3, 4).

Ein schwedisches Team um Sebastian Havervall, Erstautor zweier wichtiger Studien zum Thema, hat am Karolinska Institut in Stockholm und an der Universität Uppsala vorbildlich früh in der Pandemie damit begonnen, einschlägige Daten von Genesenen zu erheben. Im Rahmen der COMMUNITY-Studie sind 118 hospitalisierte COVID-19-Patienten und 2 149 SARS-CoV-2-infizierte Mitarbeiter aus dem Pflegedienst in definierten Abständen getestet und mehrfach nachuntersucht worden.

Die daraus hervorgegangenen Publikationen zeigen, dass in diesem Kollektiv ein robustes Immungedächtnis entstanden ist. Dies gehe mit einer substanziellen Senkung des Reinfektionsrisikos für wenigstens 9 Monate einher (5, 6). Das sei außerdem, so heben die schwedischen Forscher hervor, umso bemerkenswerter gewesen, als gerade in diesem Nachuntersuchungszeitraum das Expositionsrisiko gegenüber SARS-CoV-2 im Studienkollektiv besonders hoch war. Das war an den Infektionsinzidenzen der seronegativen, also der nicht zuvor infizierten Gesundheitsmitarbeiter, ablesbar gewesen.

Lange anhaltende Immunität

Ausnahmslos alle der ehemaligen COVID-19-Patienten und immerhin 96 % der Pflegekräfte entwickelten Anti-Spike-IgG-Antikörper gegen das Spike-Glycoprotein des SARS-CoV-2-Virus. Die Nachweise blieben über die Monate der Nachbeobachtung hinweg positiv. Gerade Pflegekräfte stellen in Studien häufig die Kollektive der Genesenen, waren sie doch zu Beginn der Pandemie als erste hohen Viruslasten und -kontakten ausgesetzt. Dass deren Immunstatus sich nach durchgemachter Infektion als derart abwehrbereit gegen SARS-CoV-2 erweist, wurde schon früh in der Pandemie beobachtet und bestätigt sich nun sukzessive und immer öfter in deren weiterem Verlauf (7, 8).

Die schwedischen Autoren betonen, dass der Schutz unabhängig von der Schwere einer COVID-19-Erkrankung war – weshalb sogar asymptomatische Verläufe protektiv sein können. Wenige Monate zuvor war ebenfalls in den USA ein ähnlich guter Immunstatus genesener Pflegekräfte bis zu 6 Monate nach mildem Infekt registriert worden (9). Offenbar ist jedoch die Testung mittels anti-nucleocapsid-IgG bei den nur milde oder asymptomatisch Infizierten weniger verlässlich, will man deren Immunität als Genesene bestimmen. Mehrere Forschergruppen bemühen sich derzeit, den Verlauf der Antikörpertiter gegen verschiedene Domänen des Virus exakter zu charakterisieren, um individuell prognostizieren zu können, wie gut der Einzelne nach einer Infektion geschützt ist (10).

Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. med. Michael Rothberg, Geriater und Internist sowie Vizepräsident für Forschung an der Cleveland Klinik, bestätigt nicht nur eine hohe, sondern vor allem eine lang anhaltende Immunität Genesener. 85,7 % betrug die relative Risikoreduktion bei dem Kollektiv von insgesamt 11 186 positiv Getesteten – und blieb stabil über deren Follow-up von 13 Monaten (4, 11).

Der Schutz vor einer Reinfektion hielt bei Genesenen den Beobachtungen aus Cleveland zufolge vor allem auch gegen Delta stand. Delta war infektiöser als viele der anderen SARS-CoV-2-Vorgänger, mit denen sich die Genesenen angesteckt hatten. Es konnte lange nicht beantwortet werden, wie gut es diese Gruppe mit aggressiveren und infektiöseren Varianten aufnehmen können. In der Cleveland Klinik zeigte sich nun, dass sie sogar die symptomatischen Infektionen der Delta-Variante mit 88,2 % verlässlich abwehren.

In einer Zusammenfassung der Studienlage von Ende 2021 wird die Schutzwirkung durch einen Genesenenstatus auf Risikoreduktionsraten zwischen 80,5 % bis sogar 100 % beziffert (2). Obwohl man derzeit von 10 Monaten ausgehen dürfe, für die der Schutz anhalte, könnte es auch länger sein. Der Vergleich zu Geimpften fällt ebenfalls günstiger aus: Personen nach einer Zweifachimpfung hatten im Vergleich zu denen, die eine Infektion überstanden hatten, ein um den Faktor 13,6 erhöhtes Risiko, eine Durchbruchsinfektion zu erleiden – in dem untersuchten Fall war es wieder die Delta-Variante. Geimpften drohte bei einer Infektion überdies eher eine Hospitalisierung als Genesenen (12).

Kinetik der Immunantwort

Daher mahnen inzwischen die Forscher, den offenbar günstigen Immunstatus der Genesenen epidemiologisch zu nutzen: Diese Menschen benötigten offensichtlich erst später eine Impfung, was Zeit verschaffe, die vulnerablen Gruppen weiter zu priorisieren. Oder aber es genügte eine einzige Impfung, um diese Personen als vollständig geschützt anzusehen. Den Genesenen gebühre darüber hinaus ein mindestens ebenso freizügiger Status in puncto Zugang zu öffentlichen Events, zum Arbeitsplatz, in Geschäfte und bezüglich Reiseoptionen wie Personen mit entsprechendem Impfstatus (2, 4, 11).

Zur Plausibilität der niedrigen Reinfektionsrisiken von Genesenen tragen inzwischen Beobachtungen zum zellulären Immungedächtnis bei. Zum T-Zell-Immungedächtnis gehören CD8+-T-Zellen, die virusinfizierte Körperzellen eliminieren, und CD4+-T-Zellen, die die Immunantwort koordinieren. Obwohl kompliziert zu erfassen, hat man in kleinen Kohorten inzwischen zeigen können, dass die SARS-CoV-2-spezifischen CD4+- und CD8+-T-Zellen bei je 100 % und 70 % der Infizierten kurze Zeit nach der Genesung zu finden sind (13, 14).

Die Zahl der B-Zellen, zuständig für die Antikörperproduktion gegen einzelne Bestandteile des SARS-CoV-2-Virus und nicht nur gegen das Spike-Protein, nimmt nach Genesung zunächst zu, um nach Monaten ein Plateau zu erreichen (15, 16). Diese Kinetik ist noch nicht genau verstanden, weshalb es so schwierig ist, individuell zu prognostizieren, wie lang einzelne Genesene geschützt sind. Die Obergrenze der aktuellen Angaben aus Studien rühren jedenfalls nur daher, dass die Gruppen noch nicht länger als etwa ein Jahr nachbeobachtet werden konnten. Ihr Schicksal wird jedoch weiter verfolgt, sodass im Laufe des Jahres 2022 weitere Erkenntnisse zu erwarteten sind.

Schon jetzt gibt es Hinweise, dass Genesene nicht nur mit Alpha (B.1.1.7), Beta (B.1.351) und Delta (B.1.617.2), sondern auch Omikron (B.1.1.529) als der neuesten Variante fertig werden können. Eine Studie aus Qatar hat dafür die Schutzwirkung bestimmt. Gegen symptomatische Infektionen betrug sie für Alpha 90,2 %, für Beta 84,8 %, für Delta 92,0 % und für Omikron 56,0 %. Nur eine Alpha-, 2 Beta-, keine Delta- und 2 Omikron-Infektionen verliefen schwerer, keine davon kritisch oder tödlich. Genesene sind vor stationärer Einweisung im Falle einer Omikron-Infektion ähnlich gut oder besser wie bei jenen mit Alpha oder Beta geschützt, nur leicht schlechter als bei einer Delta-Infektion (17, 18). Während also die Protektion gegen eine Omikron-Infektion insgesamt etwas geringer sei, liege sie für Genesene dennoch bei rund 60 %, heißt es. Was dies bedeutet, lässt sich im Vergleich zu einer Meldung des Imperial College London erkennen, der zufolge die Effektivität der AstraZeneca- und Pfizer-Impfstoffe gegen Omikron nach 2 Dosen zwischen 0–20 % und nach Boosterung zwischen 55–80 % liegt (19, 20). Diese Daten sind jedoch noch unbestätigt und dünn.

Wichtig ist nicht zuletzt, dass inzwischen auch genesene Kinder und Jugendliche als mindestens genauso gut, wenn nicht noch besser vor Reinfektionen geschützt gelten wie genesene Erwachsene (21, 22, 23).

Hier gefunden (im Original mit Verlinkung der weiteren Quellen):
https://www.aerzteblatt.de/archiv/223006/Immunstatus-nach-SARS-CoV-2-Infektion-Genesene-offenbar-gut-geschuetzt