Das Handwerk aller „Faktenchecker“ ist Konformitätsprüfung der öffentlichen Redebeiträge, damit sie in den gewünschten Meinungs- und Faktenkorridor passen.
Schreibt Michael Andrick in einem Beitrag für die Berliner Zeitung:
Was Faktenchecker tun? Ganz einfach: Fakten sind Wahrheiten über die Sachverhalte dieser Welt. Der Faktenchecker prüft also, ob die Behauptungen eines Menschen wahr oder falsch sind – ob sie Fakten oder Irrtümer bzw. sogar Erfindungen sind. Gut, dass jemand das macht!
Das klingt plausibel. Die meisten würden dem wohl zustimmen. Aber alles, was ich hier zum Einstieg sagte, ist falsch. Um das tatsächliche Gewerbe der „Faktenchecker“ zu verstehen, müssen wir den Begriff des Faktums unter die Lupe nehmen.
Was Fakten sind
Fakten werden nicht einfach aufgefunden, sie sind im Sinne des Lateinischen facere (tun, herstellen) etwas Getanes, etwas Hergestelltes (facta). Sie bestehen aus zwei Zutaten.
Erstens bezieht sich ein Faktum auf Umstände, Gegenstände oder Geschehnisse. Diese sind für jeden, der sie nicht direkt wahrnimmt, als solche erst mal gar nichts. Eine Erfindung z. B. oder der Artilleriebeschuss einer Stadt sind uns erst dann zugänglich, wenn jemand diese Geschehnisse öffentlich z. B. unter die Begriffe „Moosentferner“ und „Krieg“ fasst – und sie damit als genau dieses beurteilt.
Beurteilung ist die zweite, leicht zu übersehende Zutat jedes Faktums: Erst der Erfahrungsinhalt, über den man geurteilt hat, dass er dies oder das ist, ergibt ein Faktum, das diskursiv ins Rennen um die Deutungshoheit gehen kann.
Ein neues Werkzeug, das Moos im Garten entfernt, als „Moosentferner“ zu beurteilen, ist offensichtlich und wird nicht kontrovers sein. Zu beurteilen, ob der Artilleriebeschuss einer Stadt schon einen Krieg bedeutet oder noch einen Terroranschlag darstellt, mag schon mit guten Gründen umstritten sein.
Kampfplatz um Erkenntnis, Macht und Einfluss unter Menschen
Die im Faktum enthaltene Beurteilung kann außerdem tendenziös oder um Objektivität bemüht sein: Mancher will gern genehme Fakten für seine Freunde oder Sponsoren schaffen, ein Idealist mag aus unabhängiger Position einfach aufklären wollen.
Es liegt folglich in der Natur eines Faktums, prinzipiell bezweifelbar und sogar bestreitbar zu sein: Die beurteilten Umstände, Gegenstände oder Geschehnisse oder ihre Beurteilung als gerade dieses (und eben nicht jenes) können problematisiert werden. Bei manchen Fakten ist das kaum plausibel und niemand würde sie bestreiten, aber bei sehr vielen ist das ohne Weiteres sinnvoll möglich.
Darin besteht die Arbeit der Aufklärung, aber auch der Machtausübung. Fakten sind im Diskurs als wahr akzeptierte Aussagen, und wer diese mit seiner Beurteilung von Geschehnissen etablieren kann, hat Diskurshoheit. Er macht die lauteste Ansage, welche Erfahrungen für die Allgemeinheit was bedeuten. Das Urteilsgeschehen, aus dem Fakten hervorgehen, ist der entscheidende Kampfplatz um Erkenntnis, Macht und Einfluss unter Menschen.
Ein politisch folgenreicher Mythos
„Faktenchecker“ arbeiten mit dem eingangs dargestellten Verständnis von Fakten als „eindeutigen Gegebenheiten“ – als Wahrheiten, die manche eben korrekt zitieren und andere verfehlen oder verfälschen. Diese irrige, philosophisch naive Auffassung hat zwei negative Konsequenzen für unsere politische Kultur.
Zunächst lässt sie es folgerichtig erscheinen, Diskutanten in Gute (hält sich an „die Fakten“) und Schlechte (hält sich nicht an „die Fakten“) einzuteilen. Die Guten lassen sich dann loben, die Schlechten tadeln: Denn wer Wahrheiten ungesagt lässt oder verfälscht, der begeht eine moralische Verfehlung im politischen Raum. Er ist in diesem Sinne „böse“ und schädigt die Gesellschaft; eine spalterische Logik, mit der eine „Faktenchecker“-Organisation sich in ihrem Slogan („Recherchen für die Gesellschaft“) voll identifiziert. Der Mythos von den eindeutigen, von subjektiven Urteilsanteilen freien Fakten trägt also zu genau der moralsauren Polarisierung der Diskussion bei, die wir bei Finanz-, Flüchtlings-, Pandemiepolitik- und Ukrainekrise beobachten.
Die zweite negative Konsequenz dieser Mär ist der falsche Anschein von Legitimität, die sie den „Faktenchecker“-Unternehmen verschafft: Sie können sich einer gutgläubigen Öffentlichkeit als noble Wahrheitswächter präsentieren und gar noch Gemeinnützigkeit für sich reklamieren.
Das ist bloße Fassade. Die Urteile, die aus Begebenheiten bestimmte Fakten machen sollen, unterliegen immer leitenden Interessen. Welche sind das bei den mittlerweile mehr als 30 Faktenchecker-Organisationen in Europa? Nun, schauen Sie auf deren Websites einfach nach, wer sie jeweils finanziert.
Bezahlte Konformitätsprüfung
Das Handwerk aller „Faktenchecker“-Organisationen ist Konformitätsprüfung öffentlicher Redebeiträge im Sinne ihrer Financiers. Sie „checken“, ob ein Text deren bevorzugte Weltinterpretation stützt: Beschreibt und beurteilt der Autor sein Thema so, wie meine Sponsoren es gerne hätten? Setzt er die richtigen Schwerpunkte (und lässt er das Richtige außen vor)? Erfüllt ein Autor diese Kriterien nicht, wird er getadelt, was seinen Ruf schädigen und andere Autoren von Äußerungen abschrecken kann, die den „Faktencheckern“ mutmaßlich missfallen würden.
Hier arbeiten selbst ernannte Wahrheitswächter daran, den Diskurs auf den von organisierten Gruppen gewünschten Meinungs- und Faktenkorridor einzuengen. Sie betreiben Sabotage des Pluralismus und der angstfreien öffentlichen Debatte. Das liegt unabhängig von der Motivation der einzelnen Beteiligten in der Natur ihres Handwerks und seiner falschen theoretischen Grundannahmen. Deshalb haben „Faktenchecker“-Organisationen in einer Gesellschaft mit verfassungsmäßig sehr sparsam begrenzter, allgemein garantierter Meinungsfreiheit keinen Platz.
Michael Andrick ist Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung. Sein letztes Buch „Erfolgsleere“ wurde im April bei Herder neu aufgelegt.
Hier gefunden: https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/was-tun-faktenchecker-an-den-moeglichkeiten-von-wahrheit-sind-sie-nicht-interessiert-li.255165